Liebe Leserinnen und Leser!

 

Web-Cronenbourg
Joanne Weinberg, Debbie Konkol und Chris Halverson besuchten auf dem Straßburger Jüdischen Friedhof das Grab, in dem auch ihre Großmutter Alice Simon beerdigt ist. Die Gedenksteinchen hatten sie aus den USA mitgebracht.

 

Gedenkfeier

Am 27. April 2015 enthüllte Frankreichs Staatspräsident François Hollande (Mitte) mit führenden Europapolitikern im KZ Natzweiler-Struthof einen Gedenkstein mit den Namen der hier ermordeten 86 Jüdinnen und Juden. Bilder: Lang

 

Die Täter

 

August Hirt (1898 - 1945)

 

Hirt

 

An der Reichsuniversität Straßburg:

Morde für die Wissenschaft

 

Im Juni 1943 selektierten im KZ Auschwitz die beiden Anthropologen Dr. Bruno Beger und Dr. Hans Fleischhacker jüdische Häftlinge, die danach ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und dort von Lagerleiter Josef Kramer in einer improvisierten Gaskammer ermordet wurden. SS-Männer brachten die Leichen ans Anatomische Institut der "Reichsuniversität" Straßburg. Sie wurden von Institutsangestellten konserviert und sollten zu einem späteren Zeitpunkt skelettiert werden. Die fertigen Präparate sollten die Institutssammlung nach rassenbiologischen Gesichtspunkten erweitern. Was ist die Vorgeschichte dieses Wissenschaftsverbrechens, wie ist es abgelaufen, was wurde aus den Leichen tatsächlich? Und überhaupt: Wer waren die Opfer?

 

Der "Auftrag Beger"

 

Bruno Beger und Hans Fleischhacker verabredeten sich im Juni 1943  in das KZ Auschwitz zu anthropologischen Messungen an Häftlingen. Auftraggeber der beiden SS-Männer war die SS-Wissenschaftsorganisation „Ahnenerbe“. Seit April 1942 war diese Forschungsgemeinschaft dem persönlichen Stab des SS-Führers Heinrich Himmler unterstellt. Sie förderte archäologische, anthropologische und geschichtliche Forschungen und beteiligte sich am systematischen Kunstraub und an Menschenversuchen. Zu den Brückenköpfen des „Ahnenerbe“ gehörten unter anderem die Universitäten in München und Straßburg.


An der Reichsuniversität im besetzten Straßburg wirkte der Anatom Prof. Dr. August Hirt, der im Auftrag des „Ahnenerbe“ kriegswichtige Forschungen betrieb, zu denen auch Menschenversuche im KZ Natzweiler-Struthof gehörten. Hirt beabsichtigte, die an der Straßburger Universität seit dem 19. Jahrhundert vorhandene Schwalbe'sche Schädelsammlung „nach modernen Gesichtspunkten“ zu ergänzen, wie er im Januar 1945 in einem in Tübingen verfassten Brief erklärte. Die „modernen Gesichtspunkten“ umfassten damals die Behauptung der Nazi-Ideologen, Juden seien eine eigene Rasse.  Daraus folgt, dass die Straßburger Anatomische Sammlung um Schädel von Juden erweitert werden sollte. Deren Beschaffung hatte Hirt von Anfang an mit verbrecherischen Methoden geplant.  Unter dem Einfluss des „Ahnenerbe“ kam es zu einer Modifikation des im Frühjahr 1942 konzipierten ursprünglichen Projekts. Es entstand der Plan für eine Skelettsammlung von Juden. Deren Opfer sollten nun nicht mehr in Lagern unter sowjetischen Kriegsgefangenen gefunden werden, wie zunächst vorgesehen war, sondern unter Häftlingen in Auschwitz. Wegen einer dort herrschenden Fleckfieber-Epidemie wurde der Plan vorübergehend aufgeschoben. Am 28. April 1943 erfuhr "Ahnenerbe"-Geschäftsführer Wolfram Sievers von Adolf Eichmann aus dem "Judenreferat" des Reichssicherheitshauptamts, es sei nun in Auschwitz „besonders geeignetes Material vorhanden“ und insofern „wäre der Zeitpunkt für diese Untersuchungen besonders günstig“.

 

An der Münchner Universität betrieb das „Ahnenerbe“ eine Lehr- und Forschungsstätte für Innerasien und Expeditionen, seit Januar  1943 „Sven-Hedin-Institut“ genannt. Ursprünglich diente es ausschließlich der Auswertung der Tibet-Expedition 1938/39.  Chef des Instituts, bei der SS im Rang eines Hauptsturmführers, war der Zoologe Dr. Ernst Schäfer, der jene Expedition geleitet hatte. Sein Stellvertreter, Bruno Beger, der als Anthropologe ebenfalls an der Tibet-Expedition teilgenommen hatte, beschäftigte sich an dem Institut weiterhin mit rassenanthropologischen Fragestellungen zu angeblichen „innerasiatischen Rassetypen“ und deren „Übergangsglieder“. Ihm erteilte "Ahnenerbe"-Geschäftsführer Wolfram Sievers den Auftrag, in Auschwitz für Hirts geplante Sammlung  150 Juden zu selektieren und anthropologisch zu vermessen. Im Dienstgebrauch wurde dieser Auftrag nach dem Auftragnehmer geheißen: „Auftrag Beger“.

 

Sievers begann im Mai 1943 ein Team von Anthropologen zusammenzustellen, dem ursprünglich außer Dr. Bruno Beger noch Dr. Hans Endres (Tübingen), Dr. Hans Fleischhacker (Tübingen) und Dr. Heinrich Rübel (Berlin) angehören sollten. SS-Unterscharführer Endres und SS-Hauptsturmführer Rübel waren nicht abkömmlich. Für den „Auftrag Beger“ verblieben: SS-Hauptsturmführer Bruno Beger und SS-Obersturmführer Hans Fleischhacker, aus München zusätzlich noch Präparator Willi Gabel, der seine Abordnung für „Abformungen von Innerasiaten“ bekommen hatte.

 

Sammlungen allerorten

 

Da die Nationalsozialisten Juden als eine eigene Rasse definierten, wollten sie Merkmale finden, die diese Behauptungen begründen. Anthropologen in Wien nutzten die Auflösung jüdischer Friedhöfe, um Skelette auszugraben und sie in ihre Institute zu bringen. Nach Möglichkeit korrelierten sie die Daten von den Grabsteinen mit anderen verfügbaren Daten. In der anthropologischen Abteilung des Wiener Naturhistorischen Museums brüstete man sich schon 1939 damit, 22 Schädel von Juden im Fundus zu haben und damit die größte Sammlung von jüdischen Schädeln im Deutschen Reich. Noch handelte es sich ausschließlich um historische Schädel. Niemand war eigens deswegen ermordet worden. Allerdings war die Methode bereits erprobt, für die Bestückung von anatomischen und anthropologischen Sammlungen Tote auszugraben. Entsprechende Praktiken in kolonialen Kontexten werden erst neuerdings dokumentiert.

 

Am 8. November 1937 eröffnete im Bibliotheksbau des Deutschen Museums in München auf 3500 Quadratmetern die Propaganda-Ausstellung "Der ewige Jude", an deren Vorbereitung Anthropologen mitgewirkt hatten. Über 400 000 Besucher wurden  in nur zwei Monaten gezählt. (Abbildung 1) Sie sahen unter den Exponaten Kopfplastiken von Juden, die als idealtypisch vorgeführt wurden.  Eine stammt von dem jüdischen Kommunisten Werner Scholem, der im Februar 1937 ins KZ Dachau eingesperrt wurde, wo ihm Anthropologen einen Gesichtsabdruck genommen hatten.

 

HLA 2 1  Abb.1

Abb.1: Wanderausstellung "Der ewige Jude", 1937 eröffnet in München. Kopfplastik von Werner Scholem, der damals im KZ Dachau eingesperrt war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Ausstellung wurde vor 350 000 Besuchern auch in Wien gezeigt, wo im September 1939 eine von Wiener Anthropologen gefertigte Ausstellung folgte mit dem Titel:  „Das körperliche und seelische Erscheinungsbild der Juden“. (Abbildung 2) Der Ausstellungsmacher Dr. Josef Wastl wollte nach seinen eigenen Worten beweisen, dass sich das Judentum „sowohl in körperlicher als auch in geistig-seelischer Hinsicht von der deutschen Bevölkerung stark unterscheidet“. Für die Ausstellung hatte Ausstellungsmacher Josef Wastl auch erkennungsdienstliche Porträtfotos verwendet, die er von der Wiener Polizeidirektion erhalten hatte.

 

 

HLA 2 1 Abb.2

Abb.2: Ausstellung "Das körperliche und seelische Erscheinungsbild der Juden” 1939 im Naturhistorischen Museum Wien 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Magazin des Wiener Naturhistorischen Museum fanden Mitarbeiter Ende der 90er Jahre mehrere Hundert sogenannter Lebendmasken und ausgefüllte anthropologische Erhebungsbogen, die der Anthropologe Wastl und seine „historische Kommission“ von Juden anfertigte. Unter anderem zu diesem Zweck waren sie vor ihrer Deportation ins KZ Buchenwald im Herbst 1939 einige Tage lang im Wiener Stadion interniert worden.

Auch Wastl konnte sich methodisch auf Vorbilder berufen. Sein Amtsvorgänger und universitärer Lehrer Prof. Dr. Rudolf Pöch hatte schon im Ersten Weltkrieg mit 1915 mit Unterstützung des österreichischen Kriegsministeriums anthropologische Untersuchungen an russischen Kriegsgefangenen vorgenommen.

 

Von Josef Wastl ist auch eine Korrespondenz mit dem Oberpräparator am Anatomischen Institut der Reichsuniversität Posen überliefert. Dieser Oberpräparator fertigte auf Bestellung Präparate von Leichen von KZ-Opfern, die zum Verbrennen ins dortige Krematorium gebracht worden waren. Am 4. März 1942 schrieb er an Wastl nach Wien: „Judenschädel m./ 20 – 50 jährige kann ich Ihnen (…) zum Preis von RM 25,- offerieren, bei denen das genaue Alter und der Geburtsort angegeben werden kann. (…) Ich kann Ihnen zu den Judenschädeln auch Totenmasken der betreffenden Individuen aus Gips liefern im Preise von RM. 15,-. Von besonders typischen Ostjuden könnte ich Ihnen auch Gipsbüsten anfertigen, damit man die Kopfform und die oft recht eigenartigen Ohren sehen kann. Der Preis dieser Büsten würde sich auf 30.- bis 35.- RM stellen.“ Zwei Tage später wurde bestellt, die Abrechnung im Museum wurde unter dem Titel verbucht: „Unterhaltung und Vermehrung der Sammlungen.“

 

In diesem Kontext ist auch die projektierte jüdische Skelettsammlung an der Reichsuniversität Straßburg zu sehen. Sie sollte dazu dienen, die Bestände des seit dem ausgehenden 17. Jahrhunderten bestehenden (seit dem beginnenden 19. Jahrhundert sprechen die Mediziner in Strasbourg explizit von einem Muséum Anatomique) und Anfang der 1870er Jahre in mehreren Sälen des neu erbauten Anatomischen Institut untergebrachten Anatomischen Museums zu erweitern. Genau so wurde es nach dem Krieg auch von Anatomiehelfer Henri Henrypierre überlieferte. Einer dieser Säle enthielt, wie in verschiedenen anderen deutschen Universitäten, eine anthropologische Sammlung.

 

Anthropologen in Auschwitz

 

In der Woche vor Pfingsten 1943 trafen kurz nacheinander die für den „Auftrag Beger“ benannten Wissenschaftler in Auschwitz ein: Wilhelm Gabel am 6. Juni 1943, Bruno Beger am 7. Juni und Hans Fleischhacker am 11. Juni, nachdem er drei Tage zuvor an der Universität Tübingen noch seine Habilitation abgeschlossen hatte. Im so genannten Stammlager von Auschwitz, das mit Ausnahme von Block 10 ein Männerlager war, bezogen die Rassenkundler in dem im sogenannten „Krankenrevier“ gelegenen Block 28 einen Arbeitsraum.

Die Blöcke 10 und 21 befanden sich in unmittelbarer Umgebung. In Block 10, in dem mehrere Ärzte Menschenversuche durchführten, wählten die beiden Anthropologen jüdische Frauen aus, und in Block 21 jüdische Männer. An ihnen vollzogen die Wissenschaftler ihr anthropologisches Repertoire. Fleischhacker nach dem Krieg: „Diese Untersuchungen umfassten Messungen an Kopf und Gesicht, wichtige Körpermaße wie Größe und Spannweite usw., aber auch die Bestimmung der Haut-, Haar- und Augenfarbe mit Hilfe von Bestimmungstafeln und die Bestimmung von zahlreichen morphologischen, also Formmerkmalen wie etwa Kopfform, Stirnform, Hinterhauptform, Nasenform, Mund, Ohr usw.“ Außerdem habe er auch fotografiert und gefilmt, da ihn „die exakte anthropologische Fotografie besonders beschäftigt“ habe.

 

Die Kommission brach ihre Vermessungen vorzeitig ab, angeblich aus Angst, sich an Fleckfieber anzustecken. Nachdem die Anthropologen nach wenigen Tagen wieder abgereist waren, mussten 29 Frauen und 60 Männer die Wartezeit bis zum Abtransport in Quarantäne verbringen. Am 30. Juli verließen die ausgewählten Opfer in einem Eisenbahnwaggon Auschwitz in Richtung Elsass. Am 2. August trafen sie am Bahnhof Rotau ein. 29 jüdische Frauen und 57 jüdische Männer passierten am 2. August 1943 das Lagertor des KZ Natzweiler-Struthof, diese Zahl ist in Dokumenten exakt überliefert. Das Schicksal der übrigen drei Männer, die in Auschwitz dem Bluttest unterzogen worden waren, ist nicht bekannt. Dabei handelt es sich um Hans Israelski, Erich Markt und Günter Stamm. 

 

86 Morde in der Gaskammer des KZ Natzweiler-Struthof

 

Kurz vor der Ankunft der 86 Frauen und Männer im Elsass hatte August Hirt den dortigen Lagerleiter Joseph Kramer instruiert, „dass diese Personen in der Gaskammer des Lagers Struthof mit tödlichen Gasen getötet und dann ihre Leichname zum anatomischen Institut gebracht werden sollten, damit er über dieselben verfügen könne“. So bezeugte es Kramer später vor Gericht. Die Gaskammer befand sich außerhalb des engeren Lagerbereichs in einem Nebengebäude des Ausflugshotels Struthof. Es handelte sich um eine ehemalige Kühlkammer, die bereits für Giftgasversuche an Häftlingen zweckentfremdet worden war und für die Morde eigens umgerüstet wurde.

 

Es war am Mittwoch, der 11. August 1943, abends um 21 Uhr, als SS-Männer die ersten 15 der 86 Auschwitz-Häftlinge zur Gaskammer brachten, allesamt Frauen. Der Raum war 2,40 Meter breit, 3,60 Meter tief und 2,60 Meter hoch. Kramer berichtete in zwei Vernehmungen Einzelheiten. »Mit Hilfe einiger SS-Leute kleidete ich [die 15 Frauen]  vollständig aus und schob sie in die Gaskammer. (…) Als die Türe geschlossen war, fingen sie an zu brüllen." Dann führte er Wasser durch ein Rohr, das oben rechts von einem Guckfensterchen angebracht war und in die Kammer hineinführte. Innen tropfte dieses Wasser in ein Loch, das mit einem Gitter verschlossen war und eine Handvoll Calciumcyanid enthielt. Mit unmittelbarer tödlicher Wirkung. Kramer: "Ich beleuchtete die Innenseite des Raumes (…) und beobachtete durch das Guckloch, was (…) vor sich ging. Ich habe gesehen, dass diese Frauen ungefähr noch eine halbe Minute geatmet haben, bevor sie auf den Boden fielen. Nachdem ich die Ventilation innerhalb des Schornsteines in Bewegung gebracht hatte, öffnete ich die Türen. Ich fand diese Frauen leblos am Boden liegen.“

 

Nach den entsprechenden Prozeduren an drei weiteren Abenden hatte Kramer am 18. August 1943 alle 86 Personen ermordet. Die Leichen transportierten SS-Leute in das Anatomische Institut der Reichsuniversität Straßburg, wo sie von Helfern Hirts im Keller konserviert und in Becken gelagert wurden. Wegen der fehlenden Mazerationseinrichtung verschob Hirt die Skelettmontage auf die Nachkriegszeit.

Unmittelbar vor der Befreiung Straßburgs (23. November 1944) ließ Hirt auf Anweisung aus Berlin die Leichen zerstören – was aber wegen Zeitknappheit nicht komplett gelang. Die Befreier fanden im Anatomiekeller 17 Körper komplett und die Rümpfe von 69 Leichen viergeteilt. Die fehlenden Köpfe waren im städtischen Krematorium verbrannt worden. Nach der Autopsie durch französische Gerichtsmediziner im Juli 1945 wurden im Oktober 1945 die ganzen Leichen im Jüdischen Friedhof Strasbourg-Cronenbourg beigesetzt, die Leichenteile im städtischen Friedhof Robertsau. Erst im September 1951 erfolgte deren Umbettung in das Massengrab in Cronenbourg, auf das genau vier Jahre später ein Gedenkstein gesetzt wurde.

 

Die Namen der Nummern

 

Die Namen der Toten konnten in den Stein nicht eingraviert werden, weil sie nicht bekannt waren. Henri Henrypierre, ein elsässischer Mitarbeiter im Anatomie-Institut, hatte die Leichen entgegengenommen, und es waren ihm Nummern an ihren linken Unterarmen aufgefallen, die er ins Leichenbuch eintrug und kurz vor der Befreiung Strasbourgs heimlich kopierte. Davon hat er mehrfach bei seinen Zeugenvernehmungen nach dem Krieg gesprochen, auch beim Nürnberger Militärtribunal. Bei 13 der 17 Leichen und an drei Leichenteilen fanden die Gerichtsmediziner ebenfalls diese Nummern vor, die sie genauso wenig zu deuten wussten wie zuvor Henrypierre. Als bekannt war, dass die Nummern auf das KZ Auschwitz zurückgingen, dauerte es dennoch bis 1970, bis anhand einer dieser Nummern wenigstens eines der 86 Opfer identifiziert wurde: Max Menachem Taffel. Die Nummer ist auf einem Foto zu sehen, das während der gerichtsmedizinischen Untersuchungen aufgenommen wurde. (Abbildung 3)

 

Taffel

 Abb. 3: Menachem Taffel auf dem Obduktionstisch. Am linken Unterarm
die KZ-Nummer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Identifizierung Taffels gelang Hermann Langbein, dem Vorsitzenden des Internationalen Auschwitz-Komitees, mit Hilfe des Internationalen Suchdienstes in Bad Arolsen. Am 14. Januar 1995 war Hermann Langbein der erste Adressat, dem ich in einem Brief mitteilte, dass ich entschlossen sei, die Identität auch der übrigen 85 „Ahnenerbe“-Opfer aufzuklären. Nach mehrjährigen Recherchen verlas ich am 21. Oktober 2003 auf einem öffentlichen Kolloquium des Cercle Menachem Taffel in Strasbourg erstmals öffentlich alle 86 Namen. In einer großen Zeremonie auf dem Jüdischen Friedhof in Cronenbourg, einem Vorort von Strasbourg, wurde am 5. Dezember 2005 auf ihrem Grab ein Gedenkstein mit den 86 Namen enthüllt. (Abbildung 4)

 

 

Abb. 6: Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof in Strasbourg mit den Namen der 86 Opfer. Bild: Lang

 

 

Seit ich die KZ-Nummern der 86 Frauen und Männer gefunden und ihre Namen identifiziert habe, gelten alle meine weiteren Forschungen dem Ziel, die zugehörigen Biografien zu rekonstruieren und sie in den Kontexten ihrer Familien zu erinnern.

Hans-Joachim Lang

 

 

 

 

 

 

 

86 Biografien

 

Hier erfahren Sie Genaueres über die 86 jüdischen Frauen und Männer, die im August 1943 in der Gaskammer des KZ Natzweiler-Struthof ermordet wurden. Sie kamen aus Norwegen, Polen, Griechenland, Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Nicht selten waren sie schon längere Zeit auf der Flucht vor den Nazi-Verfolgern, ehe sie nach Auschwitz deportiert und von dort in das im Elsass gelegene Konzentrationslager gebracht wurden.

 

Von einigen dieser 86 Personen konnte ich bisher leider noch wenig in Erfahrung bringen. Aber ich recherchiere weiter. Darum freue ich mich über jede zusätzliche Information. Wenn Sie mir in dieser Hinsicht weiterhelfen können, bitte ich um Mitteilung unter Kontakt.

 

          • A

            David Akouni · Bella Alaluf · Israel Albert · Elvira Amar · Emma Amar · Palomba Arnades · Aron Aron · Nety Aruch · Martin Ascher · Esra Asser · Allegra Attas

            • David Akouni

              David Akouni wurde 1895 als Sohn von Isaac und Ester Akouni in Thessaloniki geboren. Die multi-ethnische Hafenstadt gehörte damals noch zum Osmanischen Reich und hatte rund 115 000 Einwohner. Stärkste Bevölkerungsgruppe waren die Juden, ihr Anteil betrug etwa 47 Prozent. Thessaloniki, auch als "Jerusalem des Ostens bezeichnet", gehörte zu den wichtigsten jüdischen Städten der Welt, um die Jahrhundertwende zählte die jüdische Gemeinschaft in der aufblühenden Stadt etwa 80 000 Personen.

               

              David Akouni erlebte in seiner Heimatstadt politisch turbulente Zeiten. Die Kriege der Balkanstaaten Montenegro, Bulgarien, Serbien und Griechenland gegen das Osmanische Reich (1912) und schließlich gegeneinander (1913) hinterließen in der Stadt deutliche Spuren. Thessaloniki, das am 26. Oktober 1912 zu einer griechischen Stadt geworden war, veränderte im Zuge der nachfolgenden nationalen und internationalen Auseinandersetzungen sein Gesicht tiefgehend, zumal die griechische Regierung nach einer Brandkatastrophe im August 1917 den Wiederaufbau nutzte, die Stadt zu hellenisieren.

               

              Saloniki.Ufer.1919

              Ansichtskarte, Unterschrift: Guerre 1914-1914-1916 EN ORIENT / SALONIQUE - Le quai

               

              Infolge der „Bevölkerungsaustausch“ genannten Zwangsumsiedlungen von Türken und Griechen (etwa 500.000 Muslime aus Nordgriechenland in die Türkei, 1,2 Millionen griechische Orthodoxe aus Kleinasien nach Nordgriechenland) kippte die alte demographische und soziale Zusammensetzung der Stadt. Die Juden wurden in Thessaloniki bald zur Minderheit.

               

              Vermutlich Anfang/Mitte der 1920er Jahre heiratete David Akouni Dudun Azi. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Isaac (* 1926), die Zwillinge Martha und Nathan (* 1933) sowie Dolsa. Die Familie lebte im Stadtteil Synikismos 151, wo David Akouni eine Taverne betrieb. Akouni war ein 1,74 Meter großer Mann mit kräftigem Körperbau. Er hatte dunkelbraune und an den Schläfen leicht ergraute Haare, dicke Augenbrauen.

            •  

              Im April 1941 besetzten deutsche Truppen Griechenland. Anfang 1943 trafen Mitarbeiter Adolf Eichmanns in Thessaloniki ein und bereiteten die Deportationen der örtlichen Juden vor. Sie mussten in eines der Ghettos umziehen. Das nahe am Bahnhof gelegene Baron-Hirsch-Ghetto diente als Durchgangslager für die am 16. März 1943 einsetzenden Transporte nach Auschwitz.

            • Der Zug, in dem David Akouni und seiner Familie deportiert wurden, startete am 28. April 1943 mit insgesamt 2930 jüdischen Männern, Frauen und Kindern. 220 Männer und 318 Frauen wurden nach der Ankunft am 4. Mai 1943 ins Lager eingewiesen, auch David Akouni. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht, darunter auch Akounis Frau und seine vier Kinder. Die Lager-SS ließ dem Ankömmling David Akouni die Nummer 119801 auf den linken Unterarm tätowieren.

               

              David Akouni wurde, wie noch weitere Kameraden aus seinem Transport, von den beiden SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert und anthropologisch untersucht. Dazu gehörten Israel Albert, Aron Aron, Esra Asser, Aron Esformes, Aron Eskaloni, Maurice Francese, Charles Hassan, Albert Isaak, Sabetaij Kapon, Lasas Menache, Dario Nathan, Israel Rafael, Samuel Rafael, Albert Saltiel, Maurice Saltiel, Maurice Saporta und Mordochai Saul. Sie alle hielten sich zu diesem Zeitpunkt im Krankenrevier von Auschwitz I auf, dem sogenannten Stammlager.

               

              Als einer von 86 selektierten Frauen und Männern wurde David Akouni am 30. Juli 1943 mit dem Zug auf einen weiteren Transport geschickt. Sie kamen am 2. August 1943 im KZ Natzweiler-Struthof an. Dort wurde der 48-Jährige am 16. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Von David Akuni haben drei Geschwister überlebt: die beiden Brüder Samuel und Solomon und die Schwester Dora.

               

              Die Angaben zu David Akounis äußeren Erscheinung sind dem Obduktionsbericht französischer Gerichtsmediziner vom Juni 1945 entnommen. Hinweise zu seiner Biographie verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

            • Bella Alaluf

              Bella Alaluf wurde 1923 in Thessaloniki geboren. Es war ein Jahr, in dem die nordgriechische Hafenstadt große Umbrüche erlebte. Aufgrund des so genannten Bevölkerungsaustauschs zwischen Griechenland und der Türkei, kam eine große Anzahl von griechischen Flüchtlingen aus Kleinasien nach Nordgriechenland und dort insbesondere nach Thessaloniki. Die jüdische Gemeinde, die damals rund 60.000 Personen zählte, verlor dadurch stark an Bedeutung im Gesamtgefüge der Stadt.

               

              Thess.hist.1

              Thessaloniki

               

              Die Eltern von Bella Alaluf waren Avraam (1876 – 1941) und Djamila Sason (1898 – 1943). Die sechsköpfige Familie Alaluf lebte im Baron-Hirsch-Viertel von Thessaloniki. Gleich mit dem ersten Transport und vermutlich zusammen mit ihrer verwitweten Mutter und ihren drei Geschwistern wurde Bella Alaluf am 15. März 1943 in einem Zug nach Auschwitz deportiert, der rund 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder mit sich führte. Bei der Ankunft wurden die Alalufs an der Rampe getrennt. Die Mutter Alaluf, ihren elfjährigen Sohn Pepo und ihr siebenjähriges Töchterchen Riketa schickte die SS sofort ins Gas – zusammen mit weiteren 2189 Personen. Die beiden Töchter Vidal Hayim  (* 1924) und Bella (sowie weitere 190 griechische Frauen und 417 griechische Männer) wurden ins Lager eingewiesen. Von den beiden Alaluf-Schwestern überlebte nur Vidal Hayim den Holocaust. Nach Aufenthalt in einem Lager für Displaced Persons in Landsberg emigrierte sie nach Israel.

               

              Zusammen mit Flora Biwas, Dora Cohen, Juli Cohen, Ester Eskenasy, Bienvenida Pitchon und Sara Vahena, die mit dem selben Transportzug aus Thessaloniki ankamen, wurde Bella Alaluf in den Block 10 im Stammlager eingewiesen. Hier ließ ihr die Lagerverwaltung die Nummer 38790 auf den linken Unterarm tätowieren. Ob sie in irgendeiner Weise dem Versuchsbetrieb ausgeliefert war, lässt sich nicht belegen. In der zweiten Juni-Woche 1943 wurde die ledige Zwanzigjährige von den beiden SS-Anthropologen  Bruno Beger und Hans Fleischhacker ausgewählt, um mit weiteren Jüdinnen und Juden anthropologisch vermessen zu werden. [siehe: Anthropologen in Auschwitz]

               

              Als eine von 86 Frauen und Männern kam Bella Alaluf – am 30. Juli 1943 auf Transport geschickt – am 2. August 1943 im KZ Natzweiler-Struthof an. Dort wurde die 20-Jährige am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Flora Biwas (* 2. Mai 1925), Dora Cohen,  Bienvenida Pitchon (* 1. Juli 1917) und Sara Vahena geb. Weinstein (* 1917) haben die Shoah überlebt. Hinweise zur Biographie von Bella Alaluf verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

            • Israel Albert

              Geboren wurde Israel Albert vermutlich in Thessaloniki (Griechenland), sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert.

               

              Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Israel Albert, dem die SS die Nummer 119868 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Am 30. Juli 1943 wurde Israel Albert nach seiner Selektion durch zwei Anthropologen zusammen mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht. Dort wurde er am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet - genau wie seine 85 Leidensgenossinnen und Leidensgenossen.

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            • Elvira Amar

              Seit etwas mehr als zwei Jahren gehörte Thessaloniki zu Griechenland, als Elvira Amar 1915 dort geboren wurde. Ihre Eltern waren Sharia Issakhar und Doka Amar.

               

              Im April 1941 besetzten deutsche Truppen Griechenland. Anfang 1943 trafen Eichmann-Mitarbeiter in Thessaloniki ein und bereiteten die Deportationen der örtlichen Juden ein. Sie mussten in eines der Ghettos umziehen. Das nahe am Bahnhof gelegene Baron-Hirsch-Ghetto diente als Durchgangslager für die am 16. März 1943 einsetzenden Transporte nach Auschwitz.

               

              Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Baron-Hirsch-Viertel wurde Elvira Amar am 12. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Sie ist dort fünf Tage später angekommen. Dieser 9. Transportzug von Thessaloniki nach Auschwitz führte rund 3000 jüdische Frauen, Männer und Kinder mit. Von der Rampe weg schickten die selektierenden SS-Ärzte 2271 Erwachsene und Kinder in der Gaskammer. 467 Männer und 262 Frauen kamen ins Lager. Aus diesen Frauen wählte SS-Standortarzt Eduard Wirths 99 Frauen aus, die er in den Block 10 schickte, eine Station für Menschenversuche. Zu den griechischen Frauen, die aus diesem Transport dort eingewiesen wurden, gehörten neben Elvira Amar noch Hanna Ajasch, Oro Amar, Sylvia Amar, Palomba Arnades, Nety Aruch, Allegre Beracha, Nina Knesits, Aliza Sarfati.

               

              Die Lagerverwaltung ließen der 28-Jährigen die Nummer 41547 auf den linken Unterarm tätowieren. Ob sie in irgendeiner Weise dem Versuchsbetrieb ausgeliefert war, lässt sich nicht belegen. In der zweiten Juni-Woche 1943 wurde sie schließlich von den beiden SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker ausgewählt, um mit Palomba Arnades, Nety Aruch, Allegre Beracha aus ihrem Transport sowie weiteren 82 Jüdinnen und Juden anthropologisch untersucht zu werden. [siehe:…]

               

              Als eine von 86 Frauen und Männern kam Elvira Amar – am 30. Juli 1943 per Zug auf Transport geschickt – am 2. August 1943 im KZ Natzweiler-Struthof an. Dort wurde die 28-Jährige am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Hanna Ajasch geb. Alchades (* 23. April 1922), Sylvia Amar, Nina Knesits (* 2. April 1923) und Aliza Sarfati haben die Shoah überlebt.

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            • Emma Amar

              Emma Amar ist am 4. Juni 1925 in Thessaloniki geboren worden. Ihre Eltern waren der Gastwirt Isaak (1880 - 1943) und Buena geb. Pardo (*1900-1943). Emma, die Jüngste in der Familie, hatte drei Schwestern: Evangelia (* 1915), Margo (*1919) und Rita (* 1922).

               

              Überlebt hat nur Evangelia Amar, die einen griechisch-orthodoxen Kaufmann mit dem Familiennamen Taptopoulou geheiratet hat und in einem Versteck der weiteren Verfolgung entging. Alle übrigen engeren Familienmitglieder wurden vermutlich im selben Transport wie Emma nach Auschwitz deportiert. Dort trafen sie am 28. April 1943 nach sechs quälenden Tagen Zugfahrt im Viehwaggon ein. Es war bereits der 13. Transport aus Thessaloniki. Er brachte rund 3070 jüdische Männer, Frauen und Kinder in das Todeslager. Davon ließ die SS im Lager 2529 Personen sofort in der Gaskammer ermorden, darunter Isaak und Buena Amar. Ob auch Margo und Rita schon zu diesem Zeitpunkt ums Leben kamen oder erst später, ist nicht bekannt.

               

              Emma Amar wurde mit 180 Männern und 361 Frauen in Auschwitz ins sogenannte Stammlager bzw. in Auschwitz I eingewiesen. Dieses Lager war zu diesem Zeitpunkt ausschließlich von Männern belegt – mit Ausnahme von Block 10. Zusammen mit Sarina Nissim, die mit demselben Transport in Auschwitz angekommen war, kam sie in den Block 10. Hier ließ ihr die Lagerverwaltung die Nummer 43167 auf den linken Unterarm tätowieren. Block 10 war ein Ort, in dem Nazi-Ärzte an jüdischen Frauen medizinische Versuche vornahmen. Ob auch Emma Amar in irgendeiner Weise dem Versuchsbetrieb ausgeliefert wurde, lässt sich nicht belegen. In der zweiten Juni-Woche 1943 wurde Emma von den beiden SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker ausgewählt, um mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden anthropologisch untersucht zu werden.

               

              Am 30. Juli 1943 wurden die 86 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert, wo sie am 2. August 1943 eintrafen. Dort wurde die 18-Jährige am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Ergänzende Angaben zur Familie von Emma Amar verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich. Hinweise zu Evangelia Amar gab mir Charoula Kokkinou, eine Großnichte von Emma Amar.

            • Palomba Arnades

              Palomba Arnades wurde 1923 in Thessaloniki geboren. Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde sie nach Auschwitz deportiert. Am 17. April 1943 kamen mit diesem Transport etwa 3000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an.

               

              An der Rampe wurden 467 Männer und 262 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Palomba Arnades, der die SS die Nummer 41545 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 2271 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Am 30. Juli 1943 erfolgte - nachdem sie von zwei Anthropologen selektiert worden war - mit 85 weiteren Schicksalsgefährten die Deportation ins KZ Natzweiler-Struthof. Dort wurde die 20-Jährige am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Aron Aron

              Geboren wurde Aron Aron vermutlich in Thessaloniki (Griechenland), sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er nach Auschwitz deportiert.

               

              Am 4. Mai 1943 kommen mit diesem 14. Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Aron Aron, dem die SS die Nummer 119803 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Aron Aron am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Laut dem Autopsieprotokoll französischer Pathologen war Aron Aron zu seinem Todeszeitpunkt zwischen 50 und 55 Jahren alt.

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            • Nety Aruch

              Nety Aruch wurde 1919 in Thessaloniki (Griechenland) geboren. Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde sie nach Auschwitz deportiert. Am 17. April 1943 kamen mit diesem Transport etwa 3000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an.

               

              An der Rampe wurden 467 Männer und 262 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Nety Aruch, der die SS die Nummer 41547 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 2271 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 24-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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              Aruch
              Gedächtnisschrein des griechischen Künstlers Xenis Sachinis im Jüdischen Museum Thessaloniki. Die KZ-Nummer am Unterarm verweist auf Nety Aruch
              Bild: Mutschler
            • Martin Ascher

              Geboren wurde Martin Ascher am 4. Mai 1910 in Berlin als Sohn von Alphons Ascher und Jeannette geborene Markus. Das Ehepaar hatte zwei Söhne (Hermann Willi und Martin) und zwei Töchter (Elsbeth und Frida). Martin, von Beruf Mechaniker, heiratete er am 4. Mai 1933 die Verkäuferin Ernestine Bendit (* 16. Juni 1906 in Berlin). Das Ehepaar wohnte zuletzt in Berlin-Mitte in der Blumenstraße 17.

               

              Aus der Familie Ascher haben nur Martins Bruder und die beiden ältesten Töchter seiner Schwester Elsbeth aus deren ersten Ehe die Shoah überlebt: Ingeborg Bober (*1927) und Ilse Bober (*1928). Sie mussten - wie auch deren beide jüngere Stiefschwestern - ab 1937 ohne ihre Mutter aufwachsen, die wegen Beleidigung einer Amtsperson zunächst zu einer Gefängnisstrafe im Frauenzuchthaus Cottbus verurteilt, anschließend ins KZ Ravensbrück deportiert wurde, wo sie vermutlich 1943 ums Leben gekommen ist. Ingeborg und Ilse überlebten das KZ Theresienstadt, wohin sie 1943 (Ingeborg) bzw. 1944 (Ilse) deportiert worden waren. Die beiden anderen Mädchen ermordete die SS 1943 in Auschwitz.

               

              Martins Bruder Hermann Willi hat sich allem Anschein nach in Berlin durchschlagen können. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Pförtner im Jüdischen Krankenhaus in der Iranischen Straße.

               

              Am 1. März 1943 – fünf Tage vor seiner Frau – wurde Martin Ascher mit dem 31. Osttransport von Berlin nach Auschwitz deportiert. Am 2. März 1943 kamen mit diesem Transport 1500 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 150 Männer als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Martin Ascher, dem die SS die Nummer 104744 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1350 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Martin Ascher wurde am 28. März 1943 in Block 21 des Stammlagers Auschwitz, dem Häftlingskrankenhaus, an einem Geschwür operiert. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 33-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Esra Asser

              Geboren vermutlich in Thessaloniki (Griechenland), Geburtsdatum nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Esra Asser nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an.

               

              An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Esra Asser, dem die Lager-SS die Nummer 119804 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Esra Asser am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Allegra Attas

              Geboren wurde Allegra Asser 1923 in Thessaloniki/Griechenland. Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde sie nach Auschwitz deportiert. Am 24. März 1943 kamen mit diesem Transport ungefähr 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an.

               

              An der Rampe wurden 584 Männer und 230 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Allegra Attas, der die SS die Nummer 38976 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 1986 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 20-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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          • B

            Ernestine Baruch · Joachim Basch · Joachim Behrendt · Günther Benjamin · Allegre Beracha · Kalman Bezsmiertny · Samuel Bluosilio · Harri Bober · Sara Bomberg · Sophie Boroschek · Nisin Buchar

            • Ernestine Baruch (Ernestine Barouh)

              Geboren 1918 in Thessaloniki(Griechenland) als Tochter von Israel und Klara Barouh. Die Familie lebte im Zentrum der Stadt in der Amvrosiu 4. Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde sie am 7. April 1943 mit ihrer verwitweten Mutter und ihrem Bruder Mois nach Auschwitz deportiert. Am 13. April 1943 kamen mit diesem Transport etwa 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 500 Männer und 364 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Ernestine Barouh. Sie wurde unter dem Namen Ernestine Baruch in den Akten geführt, die SS ließ ihr die Nummer 40949 in den linken Unterarm tätowieren.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 im Block 10 von Auschwitz I (Stammlager) wurde die 25-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Hinweise zur Familienbiographie verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

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              Joachim Basch

              Geboren am 3. Dezember 1922 in Swinemünde an der Ostsee (heute: Świnoujście/Polen). Vater: Bruno Basch (geboren am 5. Oktober 1889 in Swinemünde, am 17. März nach Theresienstadt, überlebte und wohnte nach der Befreiung in Berlin-Wedding); Mutter: Alice Basch geb. Basch (geboren am 20. Oktober 1893 in Berlin, am 17. März 1943 nach Theresienstadt, dort im August 1944 umgekommen).

               

              Die Familie betrieb, von Joachim Baschs Großvater Siegfried ausgangs des 19. Jahrhunderts gegründet und von dessen Sohn Bruno bis 1933 fortgeführt, in Swinemünde ein "Garderoben- und Schuhwarengeschäft". Es befand sich die längste Zeit über Am Markt 14, danach noch kurz in der Hindenburgstraße. Anschließend lebte Joachim Basch mit seinen Eltern zusammen in Berlin, Prenzlauer Berg und schließlich in der Fehrbellinerstraße 8. Zuletzt musste er sich für wöchentlich 28 Reichsmark als Zwangsarbeiter bei den Deuta-Werken (Oranienstraße 25) verdingen.

               

              Joachim Baschs Schwester Ilse (geboren am 12. April 1921 in Swinemünde) wurde am 3. März 1943 und er selbst am 12. März 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert. Am 13. März 1943 kamen mit seinem Transport 344 jüdische Männer sowie 620 jüdische Frauen und Kinder dort an. An der Rampe wurden 218 Männer und 147 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Joachim Basch, dem die Lager-SS die Nummer 107790 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 599 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Basch wurde am 25. März 1943 von Buna aus »als Jugendlicher zum Arbeitseinsatz« befohlen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 20-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Basch Swinemnde1925
              Namenseintrag von Joachim Baschs Vater (Bruno) und Großvater (Siegfried) im Adressbuch Swinemünde von 1925.
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            • Joachim Behrendt

              Geboren am 9. Dezember 1922 in Bischofswerder (heute: Biskupiec/Polen). Seine Eltern waren Walter Behrendt (geboren am 22. August 1886 in Marienburg/Westpreußen) und Erna geb. Seligmann (geboren am 11. November 1895 in Bischofswerder). Außer Joachim hatten sie noch einen älteren Sohn Max, der am 31. Juli 1920 geboren wurde und in Schweden die Shoah überlebte.

               

              Joachim Behrendt hingegen wurde am 3. März 1943 – gemeinsam mit den Eltern – mit dem 33. Osttransport von Berlin nach Auschwitz deportiert. Am 4. März 1943 kamen mit diesem Transport 632 jüdische Männer und 1118 jüdische Frauen und Mädchen dort an. An der Rampe wurden 517 Männer und 200 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Joachim Behrendt, dem die Lager-SS die Nummer 105598 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1033 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Behrendt wurde am 24. April 1943 wegen eines Geschwürs an der rechten Hand vom Häftlingskrankenbau Buna ins Stammlager Auschwitz überwiesen und am 27. April 1943 an diesem Geschwür in Block 21, dem Häftlingskrankenhaus, operiert.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 20-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden von Auschwitz ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Günther Benjamin

              Geboren am 20. Dezember 1919 in Berlin als Sohn von Fritz Benjamin (geboren am 11. Juni 1891 in Breslau, am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht) und Gertrud geb. Finn (geboren am 23. Januar 1894 in Berlin, ebenfalls am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht). Der gelernte Elektromechaniker war verheiratet mit Margot Friedländer (geboren am 29. Dezember 1920 in Berlin) und arbeitete zuletzt als zwangsverpflichteter Maschinenbauer für wöchentlich 35 Reichsmark bei der Firma Stiller. Vor der Deportation wohnte er mit seiner Frau bei der Schwiegermutter in Berlin, Prenzlauer Berg, Winsstraße 18, zuvor in Kreuzberg in der Katzbachstraße 26. Von der großen Razzia am 27. Februar 1943, der "Fabrik-Aktion" hatte ihn sein Schwager Martin Friedländer, der zufällig davon erfahren hatte, vorgewarnt. Trotzdem war Günther Benjamin zur Arbeit gegangen - und am Arbeitsplatz festgenommen worden. Durch einen nichtjüdischen Lehrling konnte er Martin Friedländer einen Zettel mit der Bitte zukommen lassen, sich um seine hochschwangere Frau zu kümmern. Tatsächlich konnte sie dieser in ein Versteck bringen, wo Margot zwei Monate später Ilona Maria (geboren am 2. Mai 1943) zur Welt bringen konnte. Günther Benjamin wurde am 2. März 1943 mit dem 32. Osttransport von Berlin nach Auschwitz deportiert.

               

              Am 3. März 1943 kamen mit diesem Transport etwa 1500 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 535 Männer und 145 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Günther Benjamin, dem die SS die Nummer 105257 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 820 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 23-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet. Margot Benjamin wurde mit ihrem Töchterchen am 15. November 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebten beide die Shoah.

               

              Einige Informationen über Margot Benjamin verdanke ich Regina Scheer.

            • Benjamin_Guenther
              Günther Benjamin
            • Allegre Beracha

              Geboren 1922 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wird sie nach Auschwitz deportiert. Am 17. April 1943 kommen mit diesem Transport etwa 3000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 467 Männer und 262 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Allegre Beracha, der die SS die Nummer 41377 in den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 2271 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 21-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Kalman Bezsmiertny

              Sein Geburtsdatum und sein polnischer Geburtsort konnten bislang noch nicht ermittelt werden. Kalman Bezsmiertnys letzter Aufenthaltsort vor der Deportation nach Auschwitz war das Ghetto in Białystok/Polen. Am 7. Februar 1943 kam er mit 2000 jüdischen Frauen, Männern und Kindern in Auschwitz an. An der Rampe wurden aus diesem Deportationszug 123 Männer als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Kalman Bezsmiertny, dem die SS die Nummer 100614 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1827 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Die Selektion durch die Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker zog eine weitere Deportation nach sich, am 2. August 1943 kam er mit 85 weiteren jüdischen Männern und Frauen ins KZ Natzweiler-Struthof. Dort wurde Bezsmiertny am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Samuel Bluosilio

              Geboren am 12. Februar 1902 in Thessaloniki/ Griechenland. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er nach Auschwitz deportiert. Am 22. April 1943 kamen mit diesem Transport 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 255 Männer und 413 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Samuel Bluosilio, dem die SS die Nummer 117246 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2132 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 41-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Harri Samuel Bober

              Geboren am 29. Juni 1922 in Berlin. Sohn von Alfred Bober (geboren am 28. Februar 1891 in Glogau) und Klara Bober geb. Bober (geboren am 9. Januar 1888 in Ostrow/Posen). Fünf Onkel hatte Harri. Der Älteste, Georg, und der Drittälteste, Kurt, waren wie Alfred, sein Vater, noch in Glogau geboren. Dann zog die Familie nach Berlin, wo Hugo, Max Hermann und Ernst auf die Welt kamen. Zur Zeit der Volkszählung im Mai 1939 wohnte Harri mit seinen Eltern im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, Choriner Straße 26.

               

              Harri Samuel Bober wird - zusammen mit beiden Eltern - mit dem 36. Transportzug am 12. März 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert. Am 13. März 1943 kommen mit diesem Transport 344 jüdische Männer sowie 620 jüdische Frauen und Kinder dort an. An der Rampe wurden 218 Männer und 147 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Samuel Bober, dem die SS die Nummer 107881 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 599 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Bober wurde am 14. April 1943 wegen allgemeiner Schwäche vom Häftlingskrankenbau Buna ins Stammlager Auschwitz überwiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 21-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Für zusätzliche Informationen danke ich Henri Bober, Cousin von Harri Bober.

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            • Sara Bomberg geb. Birentzvaig

              Geboren wurde Sara Bomberg am 16. Juli 1904 in Warschau. Sie heiratete den ebenfalls aus Warschau stammenden Moishe Bomberg. Das Ehepaar, das nach Belgien ausgewandert war, bekam zwei Kinder, die den Holocaust überlebten: Aleram Hil (geboren 1932) und Hadasa (geboren 1935). Bereits am 31. Oktober 1942 wurde Moishe Bomberg nach Auschwitz deportiert und dort als Sklavenarbeiter beschäftigt.

               

              Ehe Sara Bomberg am 10. April 1943 in Mechelen interniert wurde, hatte sie ihre Tochter Hadassa in einem belgischen Kinderheim unterbringen können. Diese erinnert sich an die Trennung von ihrer Mutter, die ihr versprochen hatte, sie bald wieder zu besuchen. Die Hoffnung blieb vergebens. Hadassa verbrachte in dem Heim bis 1944, wurde von einer nichtjüdischen Familie in Obhut genommen, nach der Befreiung Belgiens von einer in England lebenden Tante zu sich nach Dover geholt und kam schließlich im Mai 1949 nach Israel. Sie heiratete, brachte vier Kinder zur Welt und erfuhr erst im Jahr 2005 vom Schicksal ihrer Mutter. Noch vor der feierlichen Enthüllung des neuen Grabsteins besuchte sie das Grab auf dem Jüdischen Friedhof in Strasbourg-Cronenbourg.

               

              Sara Bomberg war am 19. April 1943 von Mechelen nach Auschwitz deportiert worden. Am 22. April 1943 kamen mit diesem 20. Transport 507 Männer, 121 Jungen, 631 Frauen und 141 Mädchen, allesamt Juden, dort an. An der Rampe wurden 276 Männer und 245 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 879 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Sara Bomberg kam zunächst in den Block 10 im Stammlager, wo ihr die SS die Nummer 42571 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. In diesem Versuchsblock wurde sie im Juni 1943 von den beiden SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert mit dem Ziel, sie mit anderen jüdischen Frauen und Männern für eine rassenathropologische Schausammlung an der Reichsuniversität Straßburg zu ermorden. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 39-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Für zusätzliche Informationen danke ich Hadassa Pastel, Tochter von Sara Bomberg.

            • Sara Bomberg
              Sara Bomberg

               

              Bomberg Hadassa
              Am 15. September 2005, drei Monate
              vor der Enthüllung des neuen Grabsteins, besuchte
              Hadassa Pastel das Grab ihrer Mutter auf dem Jüdischen Friedhof von Strasbourg-Cronenbourg

               

              Inschrift Grabstein
              Unter dem am 15. September 2005 noch verhüllten Grabstein der Name von Sara Bomberg.
            • Sophie Boroschek

              Als Älteste von drei Mädchen wurde Sophie Boroschek am 29. Januar 1910 in Moschin (heute: Mrocza/Polen) geboren. Das Kleinstädtchen 20 Kilometer südlich von Posen hatte kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine jüdische Gemeinschaft mit etwa 110 Angehörigen. Das waren rund fünf Prozent der Einwohner. Sophies Eltern waren der Destillateur Abraham Boroschek (geboren am 22. Juni 1882 in Jaratschewo) und Lieschen geb. Hopp (geboren am 10. Mai 1886 in Moschin). Ihre beiden Schwestern waren Hildegard (geboren am 4. Februar 1912 in Moschin) und Else (geboren am 10. Februar 1914 in Schrimm, heute Srem/Polen).

               

              Die gesamte Familie wurde von den Nationalsozialisten im Holocaust ermordet. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg war die Familie nach Berlin gezogen. Von dort aus wechselte Hildegard zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Stettin, heiratete am 13. Juli 1940 in Paderborn Lothar Leske, am 13. Dezember 1940 kam das junge Ehepaar nach Berlin und fand in der Wohnung der Boroscheks in der Brunnenstraße 16 Unterkunft. Hildegard und Lothar Leske wurden am 19. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Else Boroschek heiratete Rudi Herzko und lebte mit ihm in Kassel.

               

              Sophie Boroschek zog 1935 von der Wilhelm-Stolz-Straße 35 in die Berliner Wohnung ihrer Eltern, die damals in Wedding (Bellermannstraße 1) lebten. Am 14. Mai 1936 wechselte sie nach Groß Salze (Kreis Kalbe), von dort zu einem nicht bekannten Zeitpunkt nach Bad Salzelmen in die Lindenstraße 18. Vom 28. Mai 1937 bis zum 14. Juni 1937 war sie wieder bei ihren Eltern in Wedding gemeldet, danach hielt sie sich bis zum 29. Juli 1937 in Wyk auf Föhr auf, anschließend wieder bei ihren Eltern. Sie wohnte vom 1. Mai 1939 an in Berlin-Pankow in der Berliner Straße 127 in der Villa des hochbetagten Zigarettenfabrikanten Josef Garbáty-Rosenthal, der die Anstrengungen der Emigration nicht mehr auf sich nehmen wollte; er starb am 29. Juni 1939. Sophie Boroschek war vermutlich seine Pflegerin. Vom 1. September 1942 an arbeitete sie als Krankenschwester im Jüdischen Krankenhaus und wohnte in der Brunnenstraße 16 bei ihren Eltern, die am 12. März 1943 nach Auschwitz deportiert wurden.

               

              Am 17. Mai 1943 wurde Sophie Boroschek mit dem 38. Osttransport ebenfalls von Berlin nach Auschwitz deportiert. Mit diesem Transport kamen am 19. Mai 1943 ungefähr 1000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 80 Männer und 115 Frauen, darunter Sophie Boroschek, als Häftlinge ins Lager geschickt, wo ihr die SS die Nummer 45177 auf den linken Unterarm tätowierte. Die übrigen vermutlich 805 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Am 30. Juli 1943 erfolgte die Deportation ins KZ Natzweiler-Struthof. Dort wurde sie am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet, weil Wissenschaftler der SS beabsichtigten, aus Leichen von Juden eine anthropologische Sammlung zu präparieren. Sie wurde 33 Jahre alt.

            •  

              Sophie Boroschek
              Stolperstein Berlin
              Brunnenstraße 16
            • Nisin Buchar (Nissim Bahar)

              Registriert in Auschwitz hat man ihn als Nisin Buchar. Sein Geburtsname war aber wahrscheinlich Nissim Bahar, als er 1893 in Istanbul auf die Welt gekommen ist. Sein Vater hieß Yesuah Bahar, mehr ist über die Familie nicht bekannt, auch nicht, wann sie nach Thessaloniki gekommen ist. Gut möglich, dass es 1923 war.

               

              Nissim Bahar heiratete Rahel Florentin. 1938 kamen Zwillingssöhne auf die Welt, Yeshua und Ovada. Ihr Auskommen hatte die Familie durch die Arbeit des Vaters als Hemdenmacher. Die Wohnung befand sich in der Paraskevopoulou 37.

               

              Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde die Familie nach Auschwitz deportiert. Am 13. April 1943 kamen mit diesem Transport etwa 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 500 Männer und 364 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Nissim Bahar, dem die SS die Nummer 115218 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Seine Frau und seine Söhne wurden mit den übrigen vermutlich 1936 Personen sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 50-jährige Nissim Bahar am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 17. oder 19. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

            • Hinweise zur Familienbiographie verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

            •  
          • C

            Rebeca Cambeli · Sarica Cambeli · Elei Cohen · Juli Cohen · Hugo Cohn

            • Rebeca Cambeli

              Geboren 1912 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wird sie nach Auschwitz deportiert Am 22. April 1943 kommen mit diesem Transport 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 255 Männer und 413 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 2132 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 31-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Sarica Cambeli

              Geboren am 2. November 1923 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wird sie nach Auschwitz deportiert. Am 18. April 1943 kommen mit diesem Transport 2501 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 360 Männer und 245 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 1896 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 19-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Elei Cohen

              Elei Cohen wurde am 15. März 1907 in Thessaloniki (Griechenland) geboren. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er nach Auschwitz deportiert. Am 18. April 1943 kamen mit seinem Transport 2501 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 360 Männer und 245 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Elei Cohen, dem die SS die Nummer 116456 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1896 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Elei Cohen befand sich zeitweise im Arbeitskommando. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 36-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Juli Cohen

              Geboren 1927 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wird sie am 15. März 1943 mit dem ersten Transport nach Auschwitz deportiert. Am 20. März 1943 kommen mit diesem Transport ungefähr 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 417 Männer und 192 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Juli Cohen, der die SS die Nummer 38774 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 2191 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 16-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Hugo Cohn

              Geboren am 16. Januar 1895 in Berlin als Sohn von David Cohn und Emma geb. Marcuse. Er heiratete 1920 in Neukölln die Buchhalterin Henriette Bragenheim (geboren am 9. Mai 1897 in Güstrow). Von Beruf Kaufmann, übernahm er nach dem Tod der Eltern Mitte der 1920er Jahre die Buchdruckerei Cohn & Guttentag. Zwei Kinder kamen auf die Welt: Ilse Cohn (geboren am 4. Mai 1923, eingeschult 1929, kam am 1. Oktober 1934 an die Helene-Lange-Schule, 1939 Emigration nach Großbritannien, 1942 Ehe mit Manfred Falkenfleck, gestorben 1995 in Neuseeland) und Günther Cohn (geboren am 5. Oktober 1927 in Berlin, eingeschult 1934, Schulabschluss am 31. März 1942, weiteres Schicksal nicht bekannt). Zuletzt musste Hugo Cohn Zwangsarbeit für das Berliner Abbruch-Unternehmen Kurt Hein verrichten. Letzte Adresse war in Berlin, Prenzlauer Berg, Pasteurstraße 36.

               

              Mit dem 33. Osttransport wurde er am 3. März 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert. Am nächsten Tag kamen mit diesem Transport 632 jüdische Männer und 1118 jüdische Frauen und Mädchen dort an. An der Rampe wurden 517 Männer und 200 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Hugo Cohn, dem die SS die Nummer 105611 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1033 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 48-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Hinweise auf die Familienbiographie verdanke ich auch der Berliner Stolperstein-Initiative und Mike Burger, einem Neffen von Hugo Cohn.

            • Cohn_Hugo_1
              Hugo Cohn
              Foto: Familienbesitz

               

              COHN
              Stolperstein in Berlin
              Pasteurstraße
          • D

            Günter Dannenberg · Sabi Dekalo · Kurt Driesen

            • Günter Dannenberg

              Geboren am 8. Oktober 1922 in Berlin. Wohnte in Berlin-Friedrichshain in der Brendickestraße 17. Mit dem 37. Osttransport wurde er am 19. April 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert. Am 20. April 1943 kamen mit diesem Transport etwa 1000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 299 Männer und 158 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Günter Dannenberg, dem die SS die Nummer 117045 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 543 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Günter Dannenberg wurde am 10. Mai 1943 »zur Landwirtschaftsverwaltung zur Verfügung des SS-Sturmbannführers Caesar überstellt«. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 20-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Sabi Dekalo

              Geboren am 14. Mai 1925 in Thessaloniki (Griechenland). Seine Eltern waren Salomon und Isabelle Benveniste, die noch einen weiteren Sohn hatten. Die Familie lebte zuletzt in der Elikonos 18.

            • Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Sabi Dekalo nach Auschwitz deportiert. Am 17. April 1943 kamen mit diesem Transport etwa 3000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 467 Männer und 262 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Sabi Dekalo, dem die SS die Nummer 115983 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 2271 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

            • Am 8. Juni 1943 wurde der 18-Jährige vom Häftlingskrankenbau Buna wegen einer Arythmie in das Krankenrevier im Stammlager Auschwitz überwiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde er  am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

            • Einzelheiten zur Familienbiographie berichtete mir Saby Decalo, ein Neffen von Sabi Dekalo. Weitere Hinweise verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

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            • Kurt Driesen

              Geboren am 27. März 1914 in Berlin. Seine Eltern waren der Kaufmann Max Driesen und die Wienerin Marie geb. Schafranik. Die 1909 geschlossene Ehe wurde 1934 geschieden. Vier Kinder gehörten zur Familie, außer Kurt noch Manfred (*1909), Sylvia (*1912) und Ismar (*1913).

               

              Die Mutter lebte mit ihren Kindern noch bis 1938 in der Kaiser-Wilhelm-Str. 32 in Berlin, dann musste sie mit weiteren jüdischen Frauen und Männern nach Schöneberg in eine Sammelwohnung umziehen. Im Ghetto von Riga wurde sie vermutlich im August 1942 ermordet. Ihr geschiedener Mann Max wurde am 17. Mai 1943 nach Auschwitz deportiert und kam dort ums Leben. Tochter Sylvia, die nach der Pogromnacht im November 1938 verhaftet und einige Monate im Konzentrationslager Ravensbrück interniert worden war, konnte im letzten Augenblick vor Kriegsbeginn nach London emigrieren. Dort heiratete sie Isidor James Recht. Sie starb 2003 im Alter von 97 Jahren. Max und Marie Driesens jüngster Sohn Ismar entkam nach Shanghai, von wo aus er nach dem Krieg in die USA wechselte. Er starb dort unter dem Namen Jimmy Driesen im Jahr 1965.

               

              Kurt Driesen heiratete die gleichaltrige Elsa Alster. Das Ehepaar verfügte über so wenig Geld, dass es sich in seiner Unterkunft keine eigenen Möbel leisten konnte. Diese waren Eigentum der Möbelkammer der Jüdischen Gemeinde. Kurt Driesen war zuletzt als Zwangsarbeiter bei Fromms Gummi-Werken beschäftigt. Während der sogenannten Fabrikaktion wurde er am 1. März 1943 verhaftet und interniert. Noch am selben Tag wurde seine Frau nach Auschwitz deportiert (und dort ermordet), er selbst folgte zwei Tage später. Am 4. März 1943 kamen mit seinem Transport 632 jüdische Männer und 1118 jüdische Frauen und Mädchen dort an. An der Rampe wurden 517 Männer und 200 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Kurt Driesen, dem die SS die Nummer 105757 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1033 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Driesen musste sich am 27. April 1943 in Block 21, dem Häftlingskrankenhaus des sogenannten Stammlagers, operieren lassen. Am 25. Mai 1943 taxierte ein Berliner Obergerichtsvollzieher Driesens zurückgelassenes Wohnungsinventur auf 317 Reichsmark. Er selbst wurde zwei Wochen später von den beiden SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert und am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht. Dort wurde der 29-Jährige am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Für ergänzende Angaben danke ich Kurt Driesens Nichte Erika Kates

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              Driesen Kurt
              Kurt Driesen mit seiner Frau Elsa.
              Sammlung Erika Kates
          • E

            Aron Esformes · Aron Eskaloni · Ester Eskenazi

            • Aron Esformes

              Geboren vermutlich in Thessaloniki (Griechenland). Geburtsdatum nicht bekannt. Laut Autopsieprotokoll war er zu seinem Todeszeitpunkt etwa 30 Jahre alt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wird er Ende April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kommen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden werden 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Aron Esformes, dem die SS die Nummer 119858 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Aron Esformes am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Aron Eskaloni

              Aron Eskaloni wurde als Sohn von Isaac und Delisia Abastado 1918 in Thessaloniki geboren. Er war der zweitjüngste von sechs Söhnen: Solomon (* 1909), Vital (* 1911), Shimon (* 1912), Djako (* 1915) und Benjamin (* 1922) hießen die anderen.

               

              Aron Eskalonis Vater starb 1936 im Alter von nur 53 Jahren. Alle übrigen Familienangehörigen wurden am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Aron Eskaloni, dem die SS die Nummer 119853 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Aron Eskaloni am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet. Er wurde 25 Jahre alt.

               

              Zwei Brüder von Aron Eskaloni haben die Shoah überlebt: Djako Eskaloni und Benjamin Eskaloni.

               

              Hinweise zur Familienbiographie verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

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            • Ester Eskenazi

              Geboren 1924 in Thessaloniki als Tochter des Eisenbahn-Angestellten Moshe Eskenazi und Doudone Ventura. Zwei weitere Kinder der Familie waren Samuel und Gabriel.

               

              Die Eltern starben früh, weshalb Ester Eskenazi bei ihrer Großmutter unweit des Viertels Baron Hirsch lebte. Ihr Bruder Samuel wurde während der Deportationen von den Nazis erschossen, weil er einen Befehl missachtete. Gabriel überlebte die Lager, emigrierte nach der Befreiung in die USA und ist dort 2005 gestorben.

               

              Nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo wurde Esther am 15. März 1943 mit dem ersten Transport nach Auschwitz deportiert. Am 20. März 1943 kamen mit diesem Transport ungefähr 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 417 Männer und 192 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, darunter Ester Eskenazi, der die SS die Nummer 38801 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 2191 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Mit weiteren griechischischen Häftlingsfrauen wurde Ester Eskenazi in den Block 10 des sogenannten Stammlagers eingewiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 19-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Ergänzende biographische Hinweise berichtete mir Rachel Eskenazi (New York), eine Nichte von Esther Eskenazi.

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          • F

            Maurice (Moshe) Francès · Abraham Franco · Heinz Frischler

            • Maurice (Moshe) Francès

              Geboren etwa 1908 mit dem Namen Moshe David in Thessaloniki (Griechenland) als Sohn des Immobilienmaklers David Francès und seiner Frau Esther Tazartes. Die Eltern hatten sechs Kinder: Buèna, Emma, Rebecca, Mathilde, Maurice und Rachel.

               

              Ende der 1920er Jahre verließen etliche Familienmitglieder Thessaloniki. Moshe's gleichnamiger Onkel und dessen Ehefrau Buena waren bereits kurz nach der Geburt ihres Sohnes Eliyahu (28. Nov.1928) von Thessaloniki nach Amsterdam und von dort 1930 nach Brüssel gezogen. Auch Moshe's Geschwister Buèna und Rebecca gingen zur selben Zeit diesen Weg. Der Großvater, Rabbi Moshe David, und seine Frau Benuta wanderten 1932 nach Jerusalem aus.  In der Hoffnung, dort Arbeit zu finden, reisten Mitte der 1930er Jahre die Zwillinge Moshe, der sich nun Maurice nannte, und Rachel mit einem Touristenvisum nach Brüssel. Auf Grund der wirtschaftlichen Situation erhielten sie jedoch keine Aufenthaltserlaubnis und mussten nach Ablauf des Visums wieder nach Griechenland zurückkehren.

               

              Als die Deutschen 1943 in Thessaloniki mit der Deportation der griechischen Juden begannen, wurde Maurice Francès nach kurzer Internierung im Ghetto Baron Hirsch durch die Gestapo zusammen mit seiner Zwillingsschwester Rachel und seinen Eltern Ende April 1943 mit dem 14. Transportzug von Thessaloniki nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Maurice Francese, dem die SS die Nummer 119859 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2932 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht, darunter die Eltern von Maurice Francès. Seine Zwillingsschwester soll ein Opfer des SS-Mediziners Josef Mengele geworden sein.

               

              Maurice Francès zählt zu den Juden, die von den SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert wurden. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 35-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Ergänzende biographische Angaben verdanke ich Elie-Guy Francès aus Brüssel, einem Neffen von Maurice Francès.

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              FRANCESE_1
              Maurice Francès
            • Abraham (Avraam) Franco

              Die Lagerregistratur in Auschwitz verzeichnete ihn mit deutschem Vornamen Abraham. Geboren wurde Avraam Franco am 30. Oktober 1926 in Thessaloniki als ältester Sohn von Aaron Franco und Djilda Levi. Im Viertel Baron Hirsch führten sie in der Straße Iatrou Perrera eine kleine Taverne. Weitere Kinder kamen auf die Welt: Michel (* 1933), Mordohai (* 1941) und Esterina (* unbekannt)..

               

              Am 15. März 1943 wurde die komplette Familie gleich mit dem ersten Transportzug ins KZ Auschwitz deportiert. Am 20. März 1943 kamen dort ungefähr 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder an. An der Rampe wurden 417 Männer und 192 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Avraam Franco, dem die SS die Nummer 109469 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 2191 Personen wurden sofort in der Gaskammer umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 16-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Hinweise zur Familienbiographie verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

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            • Heinz Frischler

              Geboren am 18. April 1917 in Breslau (heute: Wrocław/Polen) als ältester Sohn des Kaufmanns Leo Frischler und dessen Frau Paula geborene Cohn. Nach ihm kamen noch Erich (* 8. August 1919) und Werner (10. April 1925) auf die Welt. Die beiden älteren Brüder hatten eine enge Beziehung zueinander. Politisiert durch den sozialdemokratisch eingestellten Vater, beteiligten sie sich aktiv am Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, dem Schutzverband der Weimarer Republik. Zudem gehörten sie der zionistischen Organisation Makkabi Hazair und dem jüdischen Sportverein Bar Kochba an.

               

              Der Vater ist allerdings schon früh gestorben. Um die Familie zu ernähren, bot die Mutter den Studenten des in der Nachbarschaft gelegenen jüdisch-theologischen Seminars einen koscheren Mittagstisch an. Als diese Einnahmequelle wenige Zeit nach der Machtübernahme durch die Nazis wegfiel, unterstützte ein Onkel die Familie. Der Regenmantelfabrikant Julius Frischler war nach dem Tod von Leo Frischler auch als Vormund der drei Jungs eingesetzt geworden.

               

              Am Morgen nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurden Heinz und Erich Frischler von der Gestapo verhaftet und im KZ Buchenwald interniert. Beide mussten sie im Steinbruch schuften. Anfang Januar 1939 kamen sie nur frei unter der Zusicherung, baldmöglich zu emigrieren. Mitte Mai 1939 begannen sie darum im jüdischen Hachschara-Lager Gut Winkel bei Spreenhagen eine landwirtschaftliche Ausbildung. In dieser Einrichtung sollten junge Juden auf ihre spätere Auswanderung nach Palästina vorbereitet werden.

               

              Im Herbst 1940 gab es für Heinz und Erich Frischler eine Gelegenheit, in einer kleinen Gruppe von Chaluzim aus dem Land geschleust zu werden und illegal in Palästina an land zu gehen. Heinz indes verzichtete, weil er auf Gut Winkel die knapp vier Jahre jüngere Ruth Scheidel kennengelernt und geheiratet hatte. Sie war noch zu kurz in der Ausbildung und hatte anderen den Vortritt lassen müssen. Erich (später: Menachem) Frischler gelang das Abenteuer und überlebte darum die Shoah. Er ist am 9. November 2001 in Rechavot gestorben.

               

              Im Juni 1941 beschlagnahmten die Nazis Gut Winkel. Dessen Bewohner mussten fortan auf Gut Neuendorf Zwangsarbeit verrichten. Das Ehepaar Frischler befand sich zu diesem Zeitpunkt wieder in Breslau, wo Heinz erst in einer Ziegelei, dann in einem Altpapierlager arbeitete. Zum 1. April 1941 mussten sie das Haus verlassen, in dem sie wohnten und in eine beengte Wohnung ziehen. Für die hochschwangere Ruth eine besondere Beschwernis. Am 8. Mai 1941 wurde Denny Eli geboren. Tags darauf schreib Hein einem Freund nach Berlin: "Du kannst Dir nicht vorstellen wie glücklich wir sind."

               

              Am 5. März 1943 wurde die junge Familie von Breslau ins KZ Auschwitz deportiert. Am 6. März 1943 kamen mit diesem Transport 1405 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 406 Männer und 190 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Heinz Frischler, dem die SS die Nummer 106894 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 809 Personen - ebenso seine Frau Ruth und sein noch nicht ganz zweijähriges Söhnchen - wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Sein jüngster Bruder Werner ist mit dem selben Transport nach Auschwitz gekommen (KZ-Nummer 106895) und hat das Lager überlebt. Auf dem Todesmarsch erreichte er das KZ Buchenwald, wo er - wenige Wochen nach der Befreiung des Lagers - am 14. Mai 1945 gestorben ist.

               

              Heinz war vor ihm ums Leben gekommen. Nach einer Selektion Im Stammlager Auschwitz im Juni 1943 durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker wurde der 23-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Ergänzende biografische Angaben verdanke ich Nurit Ronen, einer Nichte von Heinz Frischler, sowie einem Interview, das ihr Vater, Menachem (Erich) Frischler, 1997 gegeben hat.

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              Heinz Frischler
              Heinz Frischler
               
              Frischler mit Frau und Bruder
              Heinz Frischler (rechts) mit seiner Frau Ruth und seinem Bruder Erich im Jahr 1939 auf Gut Winkel.

               

              Frischler mit Brüdern
              Heinz Frischler (links) mit seinen Brüdern Werner (Mitte) und Erich
              Fotos: Sammlung Familie Frischler
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          • G

            Benjamin Geger · Fajsch Gichman · Brandel Grub

            • Benjamin Geger

              Geburtsdatum und polnischer Geburtsort konnten nicht ermittelt werden. Laut Autopsieprotokoll war er zu seinem Todeszeitpunkt etwa 30 Jahre alt. Gegers letzter Aufenthaltsort vor der Deportation ist das Ghetto in Pružany/Polen. Von dort wurde er mit anderen Ghetto-Bewohnern nach Oranczyce/ Polen verschleppt und am 30. Januar 1943 ins KZ Auschwitz deportiert. Am 31. Januar 1943 kamen mit diesem Transport 2834 Juden, darunter 230 Kinder unter vier Jahren und 520 Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren, an. An der Rampe wurden 313 Männer und 180 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Benjamin GHeger, dem die SS die Nummer 98868 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2341 Personen, darunter 750 Kinder, wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Geger wurde am 13. April 1943 in Block 21, das Häftlingskrankenhaus, zu einer Operation eines Geschwürs eingewiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Benjamin Geger am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Fajsch Gichman

              Geburtsdatum und polnischer Geburtsort konnten nicht ermittelt werden. Laut Autopsieprotokoll war er zu seinem Todeszeitpunkt etwa 40 Jahre alt. Sein letzter Aufenthaltsort vor der Deportation war entweder das Ghetto in Volkovysk oder in Pružany. Von dort wird er mit anderen Ghetto-Bewohnern nach Oranczyce/Polen verschleppt und am 29. Januar 1943 ins KZ nach Auschwitz deportiert. Am 30. Januar 1943 kommen mit diesem Transport 2612 jüdische Männer und Frauen und 518 Kinder im Alter bis zu zehn Jahren an. An der Rampe wurden 327 Männer und 275 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Fajsch Gichman, dem die SS die Nummer 97928 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2010 Personen, darunter 518 Kinder, wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. 30. Juli 1943 Deportation ins KZ Natzweiler-Struthof. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Fajsch Gichman am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Brandel Grub geb. Rozen

              Geboren am 29. September 1922 in Düsseldorf (dort im Geburtsregister unter dem Namen Rosen eingetragen; in der Deportationsliste Mechelen-Auschwitz steht als Geburtsname Kempner; ihre Eltern waren zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht verheiratet). Sie war Tochter von Maria Kempner (siehe dort). Ihre Mutter wohnte schon in Lüttich, als ihre Tochter noch in Düsseldorf gemeldet war. Ein Abmeldedatum enthält die Meldekartei nicht, offenbar hat man vergessen sie auszutragen. Laut belgischen Unterlagen kam Brandel Grub offiziell erst 1942 dort an.

               

              Tatsächlich besuchte Brandel Grub in den 1930er Jahren die Berufsschule in Brüssel und erlernte den Beruf einer Schneiderin. Sie heiratete am 31. Oktober 1940 in Grivigné den Krawattenfabrikanten Abram Josek Grub (geboren am 18. Juli 1911 in Drobin, 1929 aus Polen nach Belgien emigriert). Statt in ihrem erlernten Beruf arbeitete sie vom 16. Juli 1942 an - zwangsvepflichtet - in der staatlichen Waffenfabrik in Herstal. Zwei Wochen später erhielt ihr Mann wie Dutzende andere Juden aus der Region, eine Vorladung des örtlichen Arbeitsamts Lüttich,die zur Einweisung in ein Arbeitslager der Organisation Todt führte. Als Ende Oktober 1942 dort alle ausländischen Juden abgeholt wurden, zählte er mit seinem Schwiegervater Moszek Kempner und dessen Schwager Alter Jacob Rozen zu den mutigen Männern, die bei ihrer Deportation nach Auschwitz unmittelbar vor der deutschen Grenze aus dem Transportzug ausbrechen konnten. Sie konnten sich zunächst nach Lüttich durchschlagen und dann in der Nähe untertauchen. Doch lange währte die Freude nicht.

               

              Brandel Grub wurde Mitte April 1943 bei einer Razzia ebenso im Versteck aufgespürt wie ihr Mann, ihre Mutter und ihr Onkel, der Fotograf Alter Jacob Rozen. Auf dem Weg ins Sammellager nach Mechelen kann sie noch eine Nachricht an ihren Vater schmuggeln und ihn über die Lage informieren. Am 19. April 1943 wurden die vier im 20. Transportzug aus Mechelen nach Auschwitz deportiert, der in einer kühnen Aktion von drei jungen Resistancekämpfern angegriffen wurde. Wieder war Brandels Ehemann bei denen, die aus dem Zug flüchten konnten. Doch diesmal wurde er gleich darauf gefasst und mit dem nächsten und letzten Transport aus Mechelen am 31. Juli 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 22. April 1943 kamen mit dem 20. Transport aus Mechelen 507 Männer, 121 Jungen, 631 Frauen und 141 Mädchen, allesamt Juden, in Auschwitz an. An der Rampe wurden 276 Männer und 245 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 879 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Brandel Grub mit ihrer Mutter am 30. Juli 1943 mit weiteren 84 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. August 1943 - bei gleicher Gelegenheit - in der Gaskammer ermordet. (Dank eines Hinweises in Fritz Lettows Erinnerungen können bei ihr und ihrer Mutter die Todesdaten exakt datiert werden).

               

              Ergänzende biographische Angaben verdanke ich Dr. Thierry Rozenblum, Rom

            • Brandel Grub
              Brandel Grub
          • H

            Hugo Haarzopf · Charles Hassan · Alfred Hayum · Rudolf Herrmann · Jacob Herschfeld

            • Hugo Haarzopf

              Geboren am 20. August 1896 in Grätz, damals Provinz Posen und seit 1920 Grodzisk/Polen. Louis Haarzopf, Hugos Vater, starb gegen Ende des 1. Weltkriegs noch in Grätz, seine Witwe siedelte mit ihren erwachsenen Kindern nach Berlin.

               

              Im 1. Weltkrieg war Hugo Haarzopf Soldat und hatte bei Gefechten eine schwere Gesichtsverletzung davongetragen. In der Nachkriegszeit machte er sich als Textilkaufmann selbstständig und führte mit einem Kompagnon eine Firma, die Textilien aus den Niederlanden importierte. Um das Jahr 1930/31 heiratete er die in der einst westpreußischen Stadt Graudenz geborene Paula Jacob. Die knapp elf Jahre jüngere Frau soll auffallend gut ausgesehen haben. Haarzopfs Nichte Anneliese Klawonn: „Wir dachten damals, sie sei vielleicht zu schön für ihn und dass sie ihn wegen der materiellen Sicherheit geheiratet habe.“ Am 28. März 1933 kam Eva zur Welt, die Tochter der Haarzopfs. Anneliese Klawonn: „Ich erinnere mich noch, als sie mich vor dem Haus erwartete, ein weißes Kleidchen anhatte und darauf den Judenstern.“ Die Schikanen nahmen in der Nazizeit immer mehr zu, doch konnte Hugo Haarzopf seinen Betrieb noch bis 1938 halten. Danach kaufte er acht Kurbelstickmaschinen und eröffnete in einem Zimmer seiner großen Wohnung in der Schönhauser Allee 41 eine Schneiderei, in der er mit seinen beiden Schwestern Julie und Paula, seiner Mutter und seiner Frau Morgenröcke herstellte. Die Wohnung befand sich in der ersten Etage.

               

              Martha Joachimsthal, Hugo Haarzopfs jüngste Schwester, war zu dieser Zeit mit ihrem Mann über Paris und Uruguay bereits in Argentinien angelangt. In der Meinung, dass ihm als ehemaligem Kriegsteilnehmer nichts passieren könnte, schob Haarzopf eine Ausreise vor sich her, bis sie nicht mehr möglich war. Seine Schwester Julie Lehmann, die mit einem Protestanten verheiratet war, unternahm unter dem Eindruck der politischen Entwicklung zwei Suizidversuche, an deren Folgen sie am 29. Januar 1941 starb. Kurz danach wurde Hugo Haarzopf bei Siemens zu Zwangsarbeit verpflichtet. Im Frühsommer 1942 verhaftete die Gestapo seine Schwester Paula und seine Mutter und brachte sie ins Abschiebelager in der Großen Hamburger Straße. Seine Mutter – Ulrike Haarzopf geb. Himmelweit – wurde am 27. August 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie am 2. Oktober 1942 ums Leben kam. Und am 13. September 1942 wurde seine Schwester Paula in KZ Majdanek deportiert und dort ermordet.

               

              Hugo Haarzopf blieb nur noch eine kurze Frist. Am 16. Februar 1943 verhaftete die Gestapo ihn, seine Frau und seine Tochter bei einer nächtlichen Razzia, ebenso wie Heinz Galinski (den späteren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland) und dessen Frau Gisela, die damals wenige Häuser weiter in der Schönhauser Allee 31 wohnten. Am 26. Februar 1943 wurden die drei Haarzopfs im Zug mit über 900 Berliner Juden nach Auschwitz deportiert. Die 36-jährige Ehefrau und das neunjährige Töchterchen trieb die Lager-SS sofort in die Gaskammer, um sie zu töten. Die Lager-SS ließ Hugo Haarzopf die Nummer 104423 auf den linken Unterarm tätowieren und schickte ihn ins Außenlager Auschwitz-Monowitz geschickt. Dort musste er als Sklavenarbeiter für die Buna-Werke arbeiten.

               

              Nach knapp zwei Monaten in Monowitz schickte ihn ein Arzt wegen eines Geschwürs am rechten Fuß zur Wundbehandlung ins Stammlager Auschwitz, wo eine Art Lazarett eingerichtet war. Weitere sieben Wochen später selektierten in diesem Block sowie in Block 10 zwei Anthropologen im Auftrag der SS-Wissenschaftsorganisation „Ahnenerbe“ jüdische Frauen und Männer für ein Vorhaben des Anatomie-Professors August Hirt, der an der Reichsuniversität Straßburg seinen Lehrstuhl hatte. Für künftige rassenbiologische Forschungen wollte Hirt eine Skelettsammlung von Juden aufbauen. Und weil er das Leben von KZ-Häftlingen ohnehin für „verwirkt“ ansah, wie er es einmal formulierte, hatte er keine Bedenken, sie nach der anthropologischen Vermessung ermorden zu lassen.

               

              Hugo Haarzopf wurde als einer von 86 jüdischen Frauen und Männern am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und dort am 16. oder 18. August 1943, kurz vor seinem 47. Geburtstag, in der Gaskammer ermordet.

               

              Für Hinweise über das Leben ihres Onkels danke ich Anneliese Klawonn und Robert Lehmann, Berlin, sowie Rosemarie Fleischer, Buenos Aires.

            • Hugo Haarzopf
              Hugo Haarzopf

               

              Hugo Haarzopf
              Stolperstein in Berlin
              Schönhauser Allee 41
            • Charles Hassan

              Geboren vermutlich in Thessaloniki (Griechenland). Sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an.

               

              An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Charles Hassan, dem die Lager-SS die Nummer 119846 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker wurde Charles Hassan als einer von 86 jüdischen Frauen und Männer am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Alfred Hayum

              Geboren am 22. Oktober 1903 als Sohn von Elias und Amalia Hayum in Kirf bei Trier. Alfred Hayum war das dritte von sieben Kindern: Johanna (geboren am 8. Februar 1901), Jakob (4. März 1902), Alfred, Siegfried (12. Mai 1905), Erna (18. Januar 1907), Walter (9. Juni 1909) und Max (10. September 1911). Von Beruf war Alfred Hayum Viehhändler.

               

              Nach der Pogromnacht in Kirf verließ Alfred Hayum sein Elternhaus und zog nach Saarburg. Am 13. März 1939 wechselte er von Saarburg nach Trier (Metzelstraße 26), am 6. Juli 1939 nach Oberbettingen und von dort kehrte er am 25. Juli 1939 nach Trier zurück. Hier lebte er in der Saarstraße 3 mit seiner Mutter sowie seinen Brüdern Jakob und Siegfried. Ab 1941 waren die Brüder zu Zwangsarbeit für lokale Baufirmen verpflichtet und leisteten beispielsweise Bahnunterhaltungsarbeiten auf verschiedenen Bahnstrecken.

               

              Am 1. März 1943 wurde Alfred Hayum zusammen mit seinen Geschwistern Jakob, Siegfried und Erna in einem Transport von Trier nach Auschwitz deportiert. Zwei Tage später kamen mit diesem Transport, in dem sich unter anderem auch Juden aus Stuttgart, Essen, Düsseldorf und Dortmund befanden, etwa 1500 jüdische Frauen, Männer und Kinder in Auschwitz an. (Dieser Transport fehlt in der Dokumentation von Danuta Czech). Hayum wurde an der Rampe ausgewählt, um im Lager Sklavenarbeit zu verrichten. Die Lager-SS ließ ihm am linken Unterarm die Nummer 105097 eintätowieren und schickte ihn zu den Buna-Werken im Außenlager Auschwitz-Monowitz. Am 31. März 1943 wurde er von dort wegen einer Darmentzündung ins Stammlager Auschwitz überwiesen und am 8. Mai 1943 in Block 21, dem Häftlingskrankenhaus, operiert. /p>

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker wurde der 39-Jährige als einer von 86 jüdischen Frauen und Männer am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und am 16.August 1943 in der Gaskammer ermordet. Fast die gesamte Familie wurde Opfer der Shoa. Nur die Brüder Michael und Max hatten sich mit ihren Frauen in die USA retten können.

               

              Für Hinweise danke ich Alfred Hayums Nichte Ella Berenstein sowie Monika Metzler (Trier) und Günter Heidt (Saarburg).

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            • Rudolf Herrmann

              Der Sohn von Kurt Herrmann und Elli Jacob wurde am 2. Januar 1924 in Berlin geboren. Mit seiner Familie wohnte er in Berlin-Charlottenburg in der Alexanderstraße 53. Über Rudolf Herrmanns Schul- und Berufsausbildung ist nichts bekannt. Seine Schwester Ingeborg (geboren am 25. August 1912 in Straussberg) konnte noch am 9. August 1941 in die USA emigrieren. Er selbst wurde am 3. Februar 1943 zusammen mit seinen Eltern von Berlin nach Auschwitz deportiert.

               

              Am 4. Februar 1943 kamen mit diesem Transport 1000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 181 Männer und 106 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - so wie Rudolf Herrmann, dem die Lager-SS die Nummer 99973 auf den linken Unterarm tätowierte. Die übrigen 213 Personen - darunter Rudolf Herrmanns Eltern - wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Der 19jährige Berliner zählte zu den 86 jüdischen Frauen und Männern, die nach einer Selektion in Auschwitz am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert wurden. Dort wurde er am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Jacob Herschfeld

              Geboren am 3. Mai 1897 in Będzin, 65 Kilometer nordwestlich von Krakau. Die Kleinstadt war damals ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der Juden in Westpolen und auch in der großen Mehrzahl von Juden bewohnt. Jacob, zunächst noch Herszfeld mit Nachnamen, war das zweite von sieben Kindern von Dwojra Laja Welner und Salomon Laib Herszfeld, die beide im Jahr 1919 ums Leben kamen und in Bedzin auf dem Jüdischen Friedhof beerdigt wurden. 1922 kam Jacob Herschfeld aus Frankreich nach Heegermühle, wo bereits etliche Familienangehörigen von ihm lebten. Denkbar wäre, dass er im Ersten Weltkrieg Soldat war, in Gefangenschaft geriet und erst zu diesem späten Zeitpunkt entlassen wurde. In Eberswalde bei Berlin, nur wenige Kilometer von seinem neuen Wohnort entfernt, fand er zunächst Arbeit als Schlosser im Messingwerk Aron Hirsch AG. In den nächsten Jahren heiratete er die vier Jahre jüngere Berlinerin Alice Ehrlich, am 30. April 1925 kam in Berlin Tochter Gerda auf die Welt.

               

              In den frühen 1930ern wohnte die Kleinfamilie in der Berliner Jablonskistraße 34 (Stadtteil Prenzlauer Berg), seit 1936 in Berlin-Mitte in der Michaelkirchstraße 24, im zweiten Hinterhof. Herschfeld arbeitete zuletzt als zwangsverpflichteter Schlosser für wöchentlich 31 Reichsmark in der Hedwigshütte in Treptow. Die Tochter wurde am 2. März 1943 vom Sammellager Levetzowstraße mit dem 32. Osttransport von Berlin nach Auschwitz deportiert und ermordet, Jacob und Alice folgten einen Tag nach ihrer Tochter mit dem 33. Osttransport nach Auschwitz. Am 4. März 1943 kamen mit letzterem Transport 632 jüdische Männer und 1118 jüdische Frauen und Mädchen dort an. An der Rampe wurden 517 Männer und 200 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Jacob Herschfeld, dem die Lager-SS die Nummer 105638 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1033 Personen, dazu gehörte auch Alice Herschfeld, wurden sofort in die Gaskammer getrieben und ermordet. Jacob Herschfeld wurde für die Buna-Werke im Außenlager Auschwitz-Monowitz verpflichtet. Er erkrankte dort an einer Rippenfellentzündung und wurde deswegen am 16. April 1943 ins Krankenrevier des Stammlagers Auschwitz überwiesen. Als im Juni 1943 die beiden SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker Häftlinge für ihren Auftrag selektierten, gehörte Herschfeld zu den Ausgewählten. Am 30. Juli 1943 erfolgte die Deportation ins KZ Natzweiler-Struthof.

               

              Jacob Herschfeld wurde am 18. August 1943 im Alter von 46 Jahren in der Gaskammer ermordet. Er war, wie weitere 85 jüdische Frauen und Männer, die in jenen Tagen dasselbe Schicksal erfasste, für eine jüdische Skelettsammlung vorgesehen. Sie wurde jedoch nie verwirklicht. Die konservierten Leichen sind nach dem Krieg auf dem Jüdischen Friedhof von Strasbourg-Cronenbourg beigesetzt worden.

               

              Zum Andenken an das Ehepaar Herschfeld und seine Tochter Gerda ließ am 4. Juni 2004 Dr. Evelyn Grollke Stolpersteine an der Michaelkirchstraße 24 verlegen. Die Medizinerin hat auch die im ersten Abschnitt wiedergegebenen Lebensdaten recherchiert, die hier mit ihrer freundlichen Genehmigung übernommen wurden. Evelyn Grollke ist eine Cousine von Jacob Herschfeld.

            • Jacob Herschfeld
              Stolperstein Berlin
              Michaelkirchstraße 24
               
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          • I

            Albert Isaac · Israel Isak

            • Albert (Alberto) Isaac

              Die Lagerregistratur in Auschwitz verzeichnete ihn mit deutschem Vornamen Albert. Geboren wurde Alberto Isaac zu einem nicht bekannten Zeitpunkt in Thessaloniki. Seine Eltern waren Eliau Isaac und Mathilde Rotches. Außer Alberto hatten sie noch einen Sohn Samuel und zwei Töchter Ester und Klara.

               

              Die gesamte Familie wurde am 28. April 1943 von Thessaloniki nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ausgewählt und als Zwangsarbeiter ins Lager geschickt - darunter Alberto Isaac, dem die Lager-SS die Nummer 119874 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Albert Isaac am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Hinweise zur Familienbiographie verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

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            • Israel Isak

              Geboren wurde Israel Isak vermutlich in Thessaloniki, sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er nach Auschwitz deportiert. Am 22. April 1943 kamen mit seinem Transport 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 255 Männer und 413 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Israel Isak, dem die Lager-SS die Nummer 117295 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2132 Personenwurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Israel Isak wurde wegen eines Abszesses an einem nicht bekannten Datum (Dokument ist teilweise zerstört) vom Häftlingskrankenbau Buna ins Stammlager Auschwitz überwiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Israel Isak am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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          • K

            Sabetaij Kapon · Maria Kempner geb. Rozen · Levie Khan · Elisabeth Klein geb. Thalheim · Jean Kotz · Paul Krotoschiner

            • Sabetaij Kapon

              Geboren vermutlich in Thessaloniki (Griechenland). Geburtsdatum nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Sabetaij Kapon, dem die Lager-SS die Nummer 119874 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2332 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Sabetaij Kapon am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Maria Kempner geb. Rozen

              In der unweit von Łódź gelegenen Kreisstadt Pabianice ist Maria (Marjem) Rozen am 16. Februar 1891 auf die Welt gekommen. nach dem 1. Weltkrieg entschloss sich ihre Familie, aus Polen auszuwandern. Am 13. November 1919 kam sie in Düsseldorf an und und wohnte dort in der Lorettostraße 35 (die Einwohnermeldekartei schreibt den Namen »Rosen«). Am 27. März 1922 meldete sie sich ab nach Lüttich, brachte aber (so eine Eintrag beim Standesamt Düsseldorf-Mitte) am 29. September 1922 ihre Tochter >Brandel in Düsseldorf zur Welt. Sie heiratete am 30. Oktober in Lüttich Moszyk Kempner und wohnte in Grivegnée. Kempner arbeitete zunächst als Fotograf, dann gründete er mit seinen Brüdern Herz und Lajb eine kleine Firma zur Herstellung von Sprudel und Limonaden. Maria Kempner trug durch Hausierhandel mit Strickwaren zum Lebensunterhalt der Familie bei. Am 3. August 1942 wurde Moszek Kempner zusammen mit Dutzenden weiteren Juden aus der Region vom Office du Travail (Arbeitsamt) in ein Arbeitslager der Organisation Todt im Pas-de-Calais eingewiesen. Ende Oktober jenes Jahres holten die Deutschen dort alle ausländischen Juden ab, um sie unmittelbar danach via Mechelen nach Auschwitz zu deportieren. Moszek Kempner allerdings gelang es noch vor der deutschen Grenze, mit seinem Schwager Alter Jacob Rozen und seinem Schwiegersohn Abraham Grub, aus dem Transportzug auszubrechen und sich nach Lüttich durchzuschlagen. Für wenige Monate konnten sie sich in verschiedenen Häusern verbergen. Versteckt auf dem Dachboden eines Gebäudes in Lüttich entging Moszek Kempner Mitte April 1943 einer Razzia durch Hilfsbeamten der belgischen Sicherheitspolizei. Seine Frau hatte dieses Glück nicht. Am 17. April 1943 wurde sie mit ihrer Tochter und ihrem Bruder, dem Fotografen Alter Jacob Rozen, im SS-Sammellager Mechelen interniert und am 19. April 1943 mit dem Zug nach Auschwitz deportiert. Mit diesem 20. Transport kamen am 22. April 1943 genau 507 Männer, 121 Jungen, 631 Frauen und 141 Mädchen, allesamt Juden, dort an. An der Rampe wurden 276 Männer und 245 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 879 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Mit weiteren Frauen ihres Transports, darunter ihre Tochter, wurde die 52-Jährige in den Block 10 des Stammlagers Auschwitz eingewiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker erfolgte zusammen mit weiteren 85 jüdischen Frauen und Männern am 30. Juli 1943 die Deportation ins KZ Natzweiler-Struthof. Sie alle wurden an vier Tagen im August 1943 in der Gaskammer ermordet. Maria Kempners Todesdatum war der 11. August 1943. Ihr Mann dagegen hat die Shoah überlebt.

               

              Einzelheiten über das Schicksal der Familie Kempner-Rozen-Grub verdanke ich den Recherchen von Dr. Thierry Rozenblum, Rom. Aufgrund eines Hinweises in Fritz Lettows Erinnerungen können bei Maria Kempner und ihrer Tochter die Todesdaten exakt datiert werden.

            • Maria Kempner
              Maria Kempner
            • Levie Khan

              Geboren am 25. Mai 1922 in Brunssum/Niederlande. Seine Eltern waren Barend Khan (* 25. November 1885 in Hoogeveen) und Marrigje geb. Meyer (* 7. Januar 1901 in Geldeermalsen). Im März 1923 zog die Familie nach Sittard, wo am 18. Juli 1924 Levies Schwester Henriette geboren wurde. Levie (später auch: Levei) lebte fortan in Heerlen (bei den Großeltern?), seine Familie zog im Juli 1925 nach Geleen, heute ein Teil von Sittard. Hier war Barend Khan als Bergarbeiter beschäftigt. Weitere Lebensumstände sind nicht bekannt.

              Levie Khans Eltern und seine Schwester wurden am 5. November 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ihn selbst internierte die Gestapo zunächst im Sammellager Westerbork, von wo er nach Auschwitz deportiert wurde. Am 25. Februar 1943 kamen mit diesem Transport 1101 jüdische Männer, Frauen und Kinder dort an. An der Rampe wurden 57 Männer und 30 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Levie Khan, dem die Lager-SS die Nummer 104058 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1014 wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Levie Khan wurde nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker am 30. Juli 1943 mit 85 weiteren jüdischen Frauen und Männern ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und dort am 16. oder 18. August 1943 ebenfalls in der Gaskammer ermordet.

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            • Elisabeth Klein geb. Thalheim

              Es war die Zeit, in der die Männer statt Zigaretten eher Pfeife oder Zigarren rauchten, als Elisabeth Thalheim am 29. Mai 1901 im Wiener Bezirk Währing geboren wurde. Saul Thalheim, ihr Vater, ein gelernter Drechsler, hatte sich als Meerschaumdrechsler für Tabakspfeifen spezialisiert und betrieb ein Geschäft für Meerschaumpfeifen. Über drei Jahrzehnte lang führte er, ehe der Faschismus auch Österreich erfasste, das rechtschaffene Leben eines konservativen kleinbürgerlichen Kaufmanns, zu Zeiten der Monarchie treu dem österreich-ungarischen Kaiser ergeben – und hinterher ihm nachtrauernd. Verheiratet war er mit Karoline Kohn. Elisabeths jüngerer Bruder Max zog schon mit 18 für ein paar Jahre nach Belgien, kehrte wieder in die Heimat zurück, packte aber nach dem austrofaschistischen Putsch 1934 in Österreich endgültig sein Bündel und wanderte zusammen mit seiner Frau nach Rhodesien aus.

               

              Die Tochter der Thalheims war durchaus weltoffen, hatte aber als Frau weniger Möglichkeiten sich zu entfalten. Sie durfte die Handelsschule besuchen, sollte aber möglichst schnell unter die Haube kommen. Sie heiratete im Januar 1924 Kalman Klein, einen zehn Jahre älteren Glaser aus Ungarn, der alles andere als ein Anhänger der Krone war. Er hatte mit den Kommunisten für die ungarische Revolution gekämpft und war nach dem Scheitern der Revolution nach Wien geflohen. Großzügig half Saul Thalheim seiner Tochter und seinem Schwiegersohn beim Aufbau einer Existenz, indem er dem jungen Paar die Einrichtung einer Eisen- und Geschirrwarenhandlung in Ottakring finanzierte.

               

              Am 3. Dezember 1924 kam Nelly zur Welt, das einzige Kind des jungen Paars. Sie schildert ihre Mutter als eine Naturliebhaberin mit großem Interesse an Kultur. „Meine Mutter liebte die Oper. Ebenso die Lyrik.“ Sie zeichnete, las, fertigte Handarbeiten. „Sie hatte ein paar intellektuelle Neigungen und eine Menge manuelle. Aber irgendwie blieb vieles im Keime stecken, so wie das bei vielen Frauen in diesen Jahren war.“

               

              So lebte man denn sein Leben, heiligte den Sonntag und nicht den Sabbat, denn dem Judentum stand man kaum mehr nahe. Werktags ging man seinen Geschäften nach, auch Elisabeth Klein stand mit im Laden. Der Tochter Nelly blieb es zeitlebens ein Rätsel, wie sehr ihr Vater, der politisierte Zeitgenosse, die Vorzeichen der nahenden Katastrophe verharmloste. An Warnungen hat es nicht gefehlt, doch sie wurden in den Wind geschlagen. Niemand vermochte sich auszumalen, was anständigen, ehrlichen Leuten passieren konnte. Bis dann, irgendwann nach der Kristallnacht, Koloman Klein von der Gestapo abgeholt wurde, ihm und anderen Juden Zahnbürsten in die Hände gedrückt wurden und sie auf Knien damit den Bürgersteig reinigen mussten. Tochter Nelly Klein ist sich ziemlich sicher: »Ich glaube, an diesem Tag haben meine Eltern den Glauben an die Menschheit verloren.«

               

              Vergeblich versuchten die Kleins 1938 und 1939, in ein Land in Übersee zu gelangen. Beide Geschäfte, das der Thalheims und das der Kleins, wurden „arisiert“. Nicht viel war noch geblieben, um die Bahnfahrt nach Aachen zu finanzieren und einen Schlepper, der sie in der Nacht vom 29. auf 30. August 1939 illegal über die belgische Grenze brachte. Dort ließen sie sich in Brüssel nieder. Der Familie Klein-Thalheim versetzte bereits der 10. Mai 1940 den ersten tiefen Schock seit ihrer Ankunft in Brüssel. An jenem Tag des Einmarsches der Wehrmacht mussten sich deutsche und österreichische Emigranten im Polizeikommissariat, angeblich zur Überprüfung ihrer Papiere, melden. Die Männer im Alter von 17 bis 60 Jahren wurden verhaftet und nach Vichy-Frankreich abgeschoben. Kalman Klein kam in mehrere Internierungslager, zuletzt nach Drancy, von wo er am 17. August 1942 mit 29 weiteren Österreichern nach Auschwitz deportiert wurde. Es war ein Transport mit 997 Personen, darunter mehr als die Hälfte Kinder, die zuvor von ihren Eltern getrennt worden waren. 282 Mädchen und Jungen waren zwischen zwei und neun Jahre alt – alle wurden vergast. Nur 100 Erwachsene dieses Transports kamen ins Lager, von ihnen überlebten drei.

               

              Unter dem Zwang der Verhältnisse mussten Elisabeth Klein und ihre Tochter getrennte Wege gehen. Elisabeth Klein fand Arbeit als Putzfrau und Gouvernante einer alten Baronin, ihre Tochter Nelly schloss sich dem Widerstand an. Zu jener Gruppe junger jüdischer Widerständler, an die sich Nelly Sturm noch gut erinnern kann, gehörte auch Régine Krochmal. Die vier Jahre ältere Aktivistin, geboren in den Niederlanden und aufgewachsen in Belgien, war von Beruf Krankenschwester. Régine Krochmal wurde am 27. Januar 1943 verhaftet und zu der nach dem General Dossin benannten Infanteriekaserne in Mechelen gebracht, zwei Wochen vor Elisabeth Klein.

               

              Tag für Tag fuhren Lastwagen vor, die weitere Verhaftete im Innenhof der Kaserne abluden. Über zwei Monate verbrachte Elisabeth Klein in dieser Wartestation von Auschwitz. Der Abfahrtstermin für den nächsten Zug nach Auschwitz hatte sich wegen fehlender Transportmittel verzögert. In der langen Zeit des Wartens gelang es einer konspirativen Gruppe von Leuten mit Fluchtgedanken, scharfe Klingen, Nägel, Zangen, ja sogar Sägeblätter beiseite zu schaffen. Am Nachmittag des 18. April schließlich verkündete die Lagerverwaltung die Abfahrt des Zuges für den nächsten Tag, als Ziel wurde ein „Arbeitslager im Osten“ genannt. Und weil man Bedenken hatte, es könnte nicht alles reibungslos ablaufen, wurden alle Internierten zu einer Generalprobe in den Kasernenhof befohlen. In der Nacht verfasste Elisabeth Klein noch einen Abschiedsgruß: „Meine Liebsten, teile Euch mit, dass ich gesund und munter bin und voll Courage. Seid auch Ihr guten Mutes, lebet ruhig weiter, und macht Euch wegen mir absolut keine Sorgen. Liebste Rose [der Kosename für ihre Tochter], sei niemals nervös, wir werden wiederkehren. Und Du weine nicht, meine einzige Rolla [der Kosename für ihre Mutter Karola]. Deine Else ist mutiger, als Du glaubst. Auf Wiedersehen, meine Teuren, es küsst Euch tausendmal Eure Else.“

               

              1631 Juden, darunter 262 Kinder, warteten am folgenden Tag in der Dossin-Kaserne auf ihren Abtransport. Jene mit den Nummern 1 bis 100 mussten um acht Uhr als Erste zur Abfertigung antreten. Bis um 22 Uhr dauerte es, ehe sich der Zug in Bewegung setzte. Nach den vorangegangenen 19 Personenzügen hatte das Reichssicherheitshauptamt erstmals einen Güterzug mit geschlossenen Güterwaggons bereitgestellt. Teils schon tagsüber vor der Abfahrt, teils erst unterwegs begann in zahlreichen Waggons ein heimliches Sägen und vorsichtiges Bohren, Gitterstäbe wurden gelockert und Seitenwände gelöchert.

               

              Der Zug ruckelt durch die Nacht, bis plötzlich Schüsse peitschten. Auf freier Strecke, inmitten eines Waldstücks hinter Brüssel, war es einer Gruppe von Widerständlern gelungen, den Zug zum Stehen zu bringen und an einigen Schiebetüren der Waggons die Verriegelungen aufzuzwicken. Jeder der Ausbruchwilligen musste die Entscheidung für sich allein treffen. Sollte er das kurzzeitige Durcheinander zum Absprung nutzen oder besser noch abwarten? In diesen wenigen Minuten, aber auch noch auf dem Weg bis zur deutschen Grenze gelang es 231 Deportierten, sich aus den Waggons zu befreien. 23 Juden starben bei dem Fluchtversuch unter dem Kugelhagel der begleitenden Polizisten oder durch einen unglücklichen Sturz auf die Gleise.

               

              Was wäre geschehen, wenn sich auch vor Elisabeth Klein die Schiebetüre geöffnet hätte? Hätte sie eine Chance gehabt? Der 20.Transport aus Mechelen traf am 22. April 1943 in Auschwitz ein. Von den 1400 verbliebenen Deportierten wurden 879 sofort in den Gaskammern getötet. 276 Männer und 245 Frauen wurden als Häftlinge ins Lager gebracht und dort in den Block 10 eingewiesen. 112 wurden dortbehalten, darunter auch Elisabeth Klein. Die übrigen wurden in Arbeitskommandos nach Birkenau geschickt.

               

              Elisabeth Klein und aus ihrem Transport noch Brandel Grub, Maria Kempner, Jeanette Passmann und Marie Sainderichin wurden im Juni 1943 von den Anthropologen Beger und Fleischhacker für ihr Mordprojekt ausgesucht, ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und mit 85 weiteren Leidensgenossen in der Gaskammer erstickt. Ihr Todestag war der 11. August 1943, sie war 42 Jahre alt.

               

              Bei den Recherchen für diese Biographie war mir Nelly Sturm behilflich, die Tochter von Elisabeth Klein. Sie starb im Alter von 92 Jahren am 9. März 2017 in Berlin.

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              Elisabeth Klein
               
              KLEIN_1
              Elisabeth Klein
               
              Elisabeth Klein
              Erinnerungsplakette in Wien
              Ottakringer Straße 35
            • Jean Kotz

              Geboren am 9. Februar 1912 in Paris als Sohn von Lucie Kotz geb. Grin, die aus der polnischen Stadt Piotrków nach Frankreich eingewandert war. Jean Kotz war von Beruf Kaufmann und lebte in Paris in der Rue de Lancry, Hausnummer 6. Seine Schwester Renée (geboren am 9. Februar 1915 in Paris (geboren am 25. Januar 1884), offenbar ledig, hatte eine Tochter Alexandre (geboren am 27. Januar 1935), über deren weiteres Schicksal nichts bekannt ist.

               

              Jean Kotz wurde am 22. August 1942 in Autun/Frankreich verhaftet, weil er keinen Judenstern getragen hatte. Er wurde ins Sammellager Drancy gebracht und am 26. März 1943 einem Transport nach Sobor zugewiesen. Mit 17 anderen Gefangenen gelang es ihm jedoch, bei Darmstadt aus dem Zug zu entkommen. Er wurde aber aufgegriffen und am 19. April 1943 mit seinen Leidensgenossen mit einem Transport aus Frankfurt/Main nach Auschwitz gebracht. Dort ließ im die Lager-SS die Nummer 119628 auf den linken Unterarm tätowieren. Jean Kotz wurde am 4. Mai 1943 in Block 21, dem Häftlingskrankenhaus im Stammlager, am Blinddarm operiert.

               

              Etwa fünf Wochen später fiel er den beiden SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker auf, nach deren Auswahl 86 jüdische Frauen und Männer am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert wurden. Dort wurde der 31-Jährige am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

            • Kotz
              Jean Kotz
              Collection Raphael Toledano
               
              Kotz_Haus
              Paris, Rue de Lancry
            • Paul Krotoschiner

              Geboren am 13. Mai 1894 in Berlin. Verheiratet mit Margarete geb. Hausen (geboren am 23. Oktober 1897 in Lissa/Posen) und von Beruf Elektrotechniker. Tochter Hildegard geboren am 28. November 1923 in Berlin), ledige Arbeiterin, wohnte noch bis kurz vor der Deportation in einem möblierten Zimmer bei den Eltern in Berlin-Mitte, Seydelstraße 5. Das Ehepaar Krotoschiner wurde am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert, die Tochter einen Tag später. Am 3. März 1943 kamen mit diesem Transport etwa 1500 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 535 Männer und 145 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Paul Krotoschiner, dem die Lager-SS die Nummer 105203 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 820 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Weder Margarete noch Hildegard Krotoschiner überlebten Auschwitz. Paul Krotoschiner wurde zunächst zu Sklavenarbeit nach Auschwitz-Buna geschickt, aber bereits am 14. April 1943 mit einer Tumor-Diagnose ins Häftlingskrankenhaus (Block 21) des Stammlagers Auschwitz überwiesen. Dort operierte man ihn am 16. April 1943 - allerdings an einem Leistenbruch. Nicht ganz zwei Monate später befand sich Paul Krotoschiner immer noch in Block 21. Als die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker jüdische Frauen und Männer selektierten, zählte er zu den Opfern, die am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert wurden. Dort wurde der 49-Jährige am 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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          • L

            Else Leibholz geb. Seelig · Kurt Levy · Ichay Litchi

            • Else Leibholz geb. Seelig

              Das Dorf Glowitz (heute: Glowczyce/Polen, in dem Else Seelig am 20. Juli 1889 geboren wurde, galt früher als Mittelpunkt der Kaschubei und hieß im Volksmund „Kaschubsch Jerusalem“.Hier lebten also noch viele Juden, als die Tochter von Leo und Maria Seelig vor dem Ersten Weltkrieg dort aufwuchs. Ihr Vater betrieb im Ort eine Glas-, Porzellan-, Manufaktur- und Kurzwarenhandlung. Am 18. Mai 1918 heiratete Else den Fleischermeister Alfred Leibholz (* 4. Dezember 1887 in Schlawe/Pommern). Vier Kinder kamen auf die Welt, alle noch in Glowitz: Marianne (* 26. April 1921), Walter (* 20. September 1922), Lieselotte (* 16. November 1923) und Kurt (* 4. November 1927). Ein Neffe des Ehepaars Leibholz berichtete nach dem Krieg, wie sich die Lebensbedingungen in dem Dorf mit dem Machtantritt der Nazis veränderten. Sehr bald sei selbst den Schulkindern klar gewesen, dass die neuen politischen Verhältnisse keine vorübergehende Erscheinung waren. Fleischermeister Leibholz wurde kurze Zeit eingesperrt, weil er beim Skatabend im Dorfgasthaus etwas Despektierliches über Hitler geäußert hatte. Noch bis 1938/39 blieb die Familie Leibholz in Glowitz, dann siedelte sie nach Berlin, wohin Tochter Marianne im Jahr zuvor, aber auch noch andere Familienangehörige vorausgegangen waren. Unterkunft fanden die sechs Personen in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Levetzowstraße 13.

               

              Die Familie Leibholz hatte nicht vor, in Berlin ansässig zu bleiben, stattdessen betrieb sie die Auswanderung nach Argentinien oder nach England. Alles vergeblich. Alfred Leibholz starb 1942 eines natürlichen Todes und wurde in Weißensee beerdigt. (Sein Grabstein ist noch erhalten) Walter wurde am 27. Februar 1943 von der Gestapo verhaftet und am 1. März nach Auschwitz deportiert. Marianne entging dem gleichen Schicksal nach eigener Auskunft, weil sie an diesem Tag Nachtschicht hatte. Am 4. März entkam sie ein zweites Mal der Deportation, diesmal zusammen mit der Mutter und den beiden anderen Geschwistern. Als Grund gab Marianne Leibholz nach dem Krieg in einem Lebenslauf an: "Da meine Schwester an Scharlach erkrankt war, sind die Gestapobeamten infolge der Ansteckungsgefahr wieder gegangen und haben nur die Personalien von uns aufgenommen."

               

              Else Leibholz wurde dann mit ihren Kindern Lieselotte und Kurt am 4. Mai 1943 in der Wohnung verhaftet und am 18. Mai von der Großen Hamburger Straße aus nach Auschwitz deportiert. Am 19. Mai 1943 kamen mit diesem Transport ungefähr 1000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 80 Männer und 115 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt, darunter Elese Leibholz, der die Lager-SS die Nummer 45242 in den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 805 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Lieselotte und Kurt überlebten Auschwitz nicht, Marianne konnte erfolgreich erst in Berlin und dann in Eggersdorf untertauchen, wo sie 1972 gestorben ist. Else Leibholz wurde in Block 10 in Auschwitz von zwei Rassen-Anthropologen selektiert, am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 jüdischen Frauen und Männern ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet. Sie wurde 54 Jahre alt.

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              Leibholz Bild
              Antisemitisches Boykotttransparent in Glowitz, etwa 1933. (Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin)
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            • Kurt Levy

              Kurt Levy wurde am 5. Oktober 1925 in Berlin geboren. Sein Vater, Julius Levy, war nach dem 1. Weltkrieg aus dem westpreußischen Dorf Mlewo (* 19. April 1878) in die deutsche Hauptstadt übergesiedelt und hatte dort die Berlinerin Meta Lehmann (* 4. September 1893) geheiratet. Die Levys wohnten 1939 in Berlin-Mitte, Weinsbergweg 7. Bereits am 13. Juni 1942 wurde der Kaufmann Julius Levy aus der Familie gerissen, mit dem 15. Osttransport aus Berlin deportiert und im KZ Majdanek ermordet. Kurt Levy wurde bei der so genannten Fabrikaktion der Nazis verhaftet und am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Seine Mutter, die ihm tags darauf im nächsten Transportzug folgen musste, wurde von der SS sofort nach der Ankunft in der Gaskammer von Auschwitz ermordet.

               

              Kurt Levy wurde als Sklavenarbeiter zu den Buna-Werken im Außenlager Auschwitz-Monowitz geschickt worden. Die Lager-SS ließ ihm dort die Nummer 104671 auf den linken Unterarm tätowieren. Zwei Wochen später, am 17. März 1943, überwies ihn ein Lagerarzt wegen einer Lungenentzündung ins Häftlingskrankenhaus im Stammlager Auschwitz (Block 21). Als die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker jüdische Frauen und Männer selektierten, zählte er zu den Opfern, die am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert wurden. Dort wurde der 17-Jährige am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Ichay Litchi

              Geboren am 13. Juli 1911 in Thessaloniki (Griechenland). Mit Esthere Scialom, die er am 12. September 1929 in Thessaloniki heiratete, wanderte Ichay Litchi nach Frankreich aus. Dort kamen vier Kinder zur Welt: Albert (* 1931), Charles (* 1932), Arlette (* 1934) und Henri (* 10. August 1936). Ichay Litchi betrieb in Paris eine kleine Schusterwerkstatt in der Rue de l'Abbé Groult 65 (15. Arrondissement). Seine Frau starb am 24. Februar 1941 in einem Pariser Krankenhaus im Alter von 30 Jahren. Nach ihrem Tod gelang es ihm noch rechtzeitig, seine Kinder vor den Deutschen zu verstecken, beispielsweise die beiden jüngsten bei Bauern in dem Pyrenäen-Dörfchen Lanneplaà bei Orthez. Ichay Litchi wurde verhaftet, und während sich Kunden bei der Polizei über die verschlossene Werkstatt beschwerten, wohin sie ihre Schuhe zur Reperatur gegeben hatten, wurde er vom Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert. Am 11. Februar 1943 kamen mit diesem 46. Transport 1000 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 77 Männer und 91 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Ichay Litchi, dem die Lager-SS die Nummer 101089 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 832 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Zunächst musste Ichay Litchi im Buna-Werk von Auschwitz-Monowitz Sklavenarbeit verrichten, ehe er am 17. März 1943 im Häftlingskrankenhaus des Stammlagers Auschwitz (Block 21) einer Operation unterzogen wurde. Als die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker jüdische Frauen und Männer selektierten, zählte er zu den Opfern, die am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert wurden. Dort wurde der 32-Jährige am 16. oder 18. August 1943 in der in der Gaskammer ermordet.

               

              Einige Informationen verdanke ich Henri Litchi, dem jüngsten Sohn von Ichay Litchi.

            • Ichay Litchi
              Ichay Litchi
              Collection Raphael Toledano
          • M

            Michael Marcus · Maria Matalon · Abraham Matarasso · Lasas Menache · Katerina Mosche

            • Michael Marcus (Markos)

              Im KZ war er unter dem Namen Michael Marcus registriert. Geboren wurde Michael Markos im September 1897 in Thessaloniki als Sohn von Avraam Markos und Lea Pitchon. Er heiratete Ester Kuenka, 1938 kam ihr Sohn Alberto zur Welt.

               

              Michael, Ester und Alberto Markos wurden im selben Transport wie Michaels verwitwete Mutter und seine Geschwister Leon, Ester und Moshe nach Auschwitz deportiert, wo sie am 17. April 1943 ankamen. In diesem Transport befanden sich etwa 3000 jüdische Frauen, Männer und Kinder, von denen vermutlich 2271 Personen sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht wurden. Michael Markos wurde mit insgesamt 467 Männern und 262 Frauen als Häftling ins Lager eingewiesen. Er musste im KZ-Außenlager Golleschau Sklavenarbeit verrichten. Dort ließ ihm die Lager-SS die Nummer 116126 auf den linken Unterarm tätowieren.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker am 30. Juli 1943 wurde der 45-Jährige mit 85 weiteren jüdischen Frauen und Männern ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Aus der Markos-Familie überlebte nur Michels Bruder Moshe. Er emigrierte nach der Befreiung nach Israel.

               

              Bei der biographischen Recherche unterstützte mich Aliki Arouh vom Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki.

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            • Maria Matalon

              Geboren 1923 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde sie nach Auschwitz deportiert. Am 25. März 1943 kamen mit diesem Transport 1901 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 459 Männer und 236 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 1206 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 20-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Abraham Matarasso

              Geboren vermutlich in Thessaloniki (Griechenland). Sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er am 15. März 1943 mit dem ersten Transport nach Auschwitz deportiert. Am 20. März 1943 kamen mit diesem Transport ungefähr 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 417 Männer und 192 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Abraham Matarasso, dem die Lager-SS die Nummer 109597 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen vermutlich 2191 Personen wurden wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Matarasso wurde am 22. Mai 1943 in Block 21, dem Häftlingskrankenhaus des Stammlagers Auschwitz, operiert. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Abraham Matarasso am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Lazar Menashe (Lasas Menasche)

              Geboren wurde Lazar Menashe 1903 in Thessaloniki (Griechenland) als Sohn von Recaula und Chaim Menashe. Lazar Menashe heiratete Beatrice Alaluf, 1938 kam ihr Sohn Chaim-Anri zur Welt. Am 28. April 1943 wurden Lazar, Beatrice und ihr Söhnchen zusammen mit weiteren Familienmitgliedern nach Auschwitz deportiert, wo der Transportzug am 4. Mai 1943 mit 2930 jüdische Frauen, Männern und Kindern ankam.

               

              An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Lazar Menashe, dem die Lager-SS die Nummer 119927 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Der 40-Järige wurde nach einer Selektion im Stammlager von Auschwitz durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker am 30. Juli 1943 mit 85 weiteren jüdischen Frauen und Männern ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und dort am 16. oder 18. August 1943 ebenfalls in der Gaskammer ermordet.

               

              Vier von Lazar Menashes Geschwistern (Meir, Benuta, Rafael und Allegra) kamen in Auschwitz ums Leben, seine drei Schwestern Flora, Janna und Djulia überlebten ihn.

               

              Auf einem aus Auschwitz überlieferten Dokument ist der Name als Lasas Menasche wiedergegeben. Lange Jahre war trotz intensiver Recherchen weiter nichts über die Identität von Lazar Menashe bekannt. Weil deshalb zwangsläufig die falsche Schreibweise auf dem Grabstein in Strasbourg und danach auf weiteren Erinnerungsmalen übernommen wurde, sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen. Bei der biographischen Recherche unterstützte mich Aliki Arouh vom Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki.

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            • Katerina Mosche (Esterina Mosche)

              Geboren 1928 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Katherina (in einem anderen Dokument heißt sie mit Vornamen Esterina) Mosche nach Auschwitz deportiert. Am 25. März 1943 kamen mit diesem Transport 1901 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 459 Männer und 236 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 1206 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 15-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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          • N

            Regina Nachman · Siniora Nachmias · Dario Nathan · Sarina Nissim

            • Regina Nachman

              Geboren geboren wurde sie 1923 in Thessaloniki (Griechenland) als Tochter von Yona Nachman und Palomba geb. Marash. Sie hatte fünf Geschwister: Yakov, Matika, Yosef, Mois und Berta. Überlebt hat nur Yosef (Pepo). Er ist nach Israel ausgewandert.

               

              Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Regina Nachman nach Auschwitz deportiert. Am 25. März 1943 kamen mit diesem Transport 1901 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 459 Männer und 236 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 1206 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 20-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Hinweise zur Familienbiographie verdanke ich dem Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki. Dort war mir Archivarin Aliki Arouh bei der Recherche behilflich.

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            • Siniora Nachmias

              Geboren am 25. März 1926 in Thessaloniki/Griechenland. Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Siniora Nachmias nach Auschwitz deportiert. Am 22. April 1943 kamen mit diesem Transport 2800 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 255 Männer und 413 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 2132 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 17-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Dario Nathan

              Geboren vermutlich in Thessaloniki (Griechenland). Geburtsdatum nicht bekannt. Laut Autopsieprotokoll war er zu seinem Todeszeitpunkt etwa 45 Jahre alt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wird er Ende April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kommen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Dario Nathan, dem die Lager-SS die Nummer 119948 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 40-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Sarina Nissim

              Geboren 1906 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki durch die Gestapo wird sie nach Auschwitz deportiert. Am 28. April 1943 kommen mit diesem Transport 3070 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 180 Männer und 361 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 2529 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 37-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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          • O

            Heinrich Osepowitz

            • Heinrich Osepowitz

              Das Geburtsdatum und der vermutlich polnische Geburtsort von Heinrich Osepowitz konnten bis jetzt noch nicht ermittelt werden. Sein letzter Aufenthaltsort vor der Deportation war das Ghetto in Pružany/Polen. Von dort wurde er mit Leidensgenossen zunächst nach Oranczyce/Polen verschleppt und am 30. Januar 1943 ins KZ Auschwitz deportiert. Am 31. Januar 1943 kamen mit diesem Transport 2834 Juden an, darunter 230 Kinder unter vier Jahren und 520 Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren. An der Rampe wurden 313 Männer und 180 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Heinrich Osepowitz, dem die Lager-SS die Nummer 98991 in den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2341 Personen, darunter 750 Kinder, wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Heinrich Osepowitz am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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          • P

            Jeanette Passmann geb. Vogelsang · Hermann Pinkus · Jacob Polak

            • Jeanette Passmann geb. Vogelsang

              Geboren am 28. Februar 1878 in Gelsenkirchen. Sie heiratete den Kaufmann Hermann Passmann (* 11. Juni 1869 in Issum), mit dem sie zwei Kinder zur Welt brachte: Kurt (* 20. November 1909 in Geldern) und Ilse Henriette (* 9. Februar 1911 in Geldern). Die Passmanns zogen nach Krefeld und bauten dort eine geschäftliche Existenz auf. Im Juni 1934 emigrierten sie in die Niederlande und ließen sich in Roermond nieder. Dort starb Hermann Passmann am 26. Januar 1935.

               

              Tochter Ilse Henriette heiratete 1934 in Köln Erich Salm und emigrierte mit ihm nach Chicago. Gestorben ist sie im Juli 1989 in Miami und ihr Mann im August 2006 in Chicago. Sohn Kurt, der mit den Eltern in die Niederlande zog, gelang es nach der deutschen Okkupation der Niederlande mit einem niederländischen Offizier über den Kanal nach Großbritannien zu fliehen. Die Briten brachten ihn nach Kanada, wo er zunächst interniert wurde. Nach dem Krieg heiratete er in Kanada und starb in den 1990ern in Montreal.

               

              Jeanette Passmann fand einen Schlepper, der ihr versprach, sie gegen 10.000 Gulden in die Schweiz zu bringen. Stattdessen wurde sie unterwegs von der Polizei festgenommen, am 15. Februar 1943 in Mechelen interniert und am 19. April 1943 mit dem Zug von Mechelen nach Auschwitz deportiert. Am 22. April 1943 kamen mit diesem Transport 507 Männer, 121 Jungen, 631 Frauen und 141 Mädchen, allesamt Juden, dort an. An der Rampe wurden 276 Männer und 245 Frauen als Häftlinge ausgewählt und als Häftlinge ins Lager geschickt - darunter Jeanette Passmann, der die Lager-SS die Nummer 42658 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 879 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Mit weiteren Frauen aus ihrem Transport wurde Jeanette Passmann in den Block 10 des Stammlagers Auschwitz eingewiesen, einem Ort für medizinische Experimente. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde die 65-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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              Jeanette Passmann
              Jeanette Passmann

               

              Jeanette Passmann
              Stolperstein für Jeanette Passmann
              in Geldern, Haerttor 24

               

              Passmann Uhr
              Jeanette Passmann schenkte ihrer Freundin Elisabeth Maria Antoinetta Sanders in Roermond diese Uhr. Sie hat sie lebenslang aufbewahrt.
            • Hermann Pinkus

              Geboren wurde Hermann Pinkus am 16. Januar 1903 als zweites Kind von Lesser Pinkus * 27. November 1867 in Mrotschen) und Dora Chaim (* 21. Oktober 1873 in Znin/Posen) in Mrotschen geboren. Seine ältere Schwester hieß Lucie (* 11. Dezember 1900 in Mrotschen). Bald nach Hermanns Geburt zog die Familie nach Berlin, wo am 3. September 1906 Hermanns jüngere Schwester Hertha zur Welt kam. Welche Ausbildung er absolvierte und welchen Beruf er ergriff, ist nicht bekannt. Am 7. November 1941 heiratete er Grete Meyer (* 19. Dezember 1903 in Neustadt/Posen). Fünf Tage später zog er mit ihr in der Schlesischen Straße 20 ein. Am 19. Januar 1943 musste das Ehepaar in der Skalizer Straße 46 in ein unmöbliertes Zimmer zur Untermiete einziehen. Vermieter waren Max und Emmy Rosenbund, die bald danach in die Illegalität abtauchen und der Verfolgung entgehen konnten. Ein schmales Auskommen fand Pinkus als Militärsattler bei der Firma Kurt Seidel.

               

              Hermanns Eltern wurden am 14. Januar 1943 nach Theresienstadt deportiert. Seine Mutter ist dort im März 1944 ums Leben gekommen, sein Vater hat die Shoah überlebt und ist am 3. März 1954 in Berlin gestorben. Hermann Pinkus wurde während der sogenannten Fabrikaktion der Nazis Ende Februar 1943 festgenommen und am 1. März, fünf Tage vor seiner Frau und zwei Tage vor seiner Schwester Hertha nach Auschwitz deportiert. Am 2. März 1943 kamen mit diesem Transport 1500 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 150 Männer ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt, darunter auch Hermann Pinkus, dem die Lager-SS die Nummer 104852 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1350 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und dort umgebracht.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 40-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Jacob Polak

              Geboren am 24. März 1911 in Amsterdam als ältester von drei Söhnen des Ehepaars Isaak Polak (* 13. August 1892 in Amsterdam) und Rebecca geb. Hennipseel (* 5. Juni 1893 in Amsterdam). Zuletzt wohnten die Polaks in Amsterdam in der Laing's Nekstraat 10 III. Diese Familie wurde während der Shoah vollkommen ausgelöscht. Jacob Polak war von Beruf Hafenarbeiter (Schauermann) und heiratete Sarah Walvisch (* 15 Oktober 1915 in Haarlem). Einen eigenen Hausstand konnte das Paar nach der Hochzeit nicht mehr gründen.

               

              Jacob Polaks Eltern, sein jüngste Bruder Benjamin (* 20. November 1931 in Amsterdam) und seine Frau wurden am 9. Juli 1943 nach Sobibor deportiert und ermordet. Sein mittlerer Bruder Meijer (* 5. April 1921 in Amsterdam) wurde bereits am 30. September 1942 nach Auschwitz deportiert, wo er zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ums Leben kam. Jacob wurde am 16. Februar 1943 vom Lager Westerbork ebenfalls nach Auschwitz deportiert. Am 18. Februar 1943 kam dieser Transport mit 1108 jüdischen Frauen, Männern und Kindern dort an. An der Rampe wurden 200 Männer und 61 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Jacob Polak, dem die Lager-SS die Nummer 103648 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 847 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 32-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

            •  
          • R

            Israel Rafael · Samuel Rafael · Siegbert Meinhardt Rosenthal

            • Israel Rafael

              Geboren wurde Israel Rafael vermutlich in Thessaloniki (Griechenland), sein Geburtsdatum und seine Familienherkunft sind nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde er am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt, darunter Israel Rafael,dem die SS die Nummer 119963 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Israel Rafael am 30. Juli 1943 mit 85 weiteren Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Samuel Rafael

              Geboren vermutlich in Thessaloniki (Griechenland), sein Geburtsdatum und seine Familienherkunft sind nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Samuel Rafael am 28.April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Samuel Rafael, dem die SS die Nummer 119964 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 Samuel Rafael am 30. Juli 1943 mit 85 weiteren Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Siegbert Meinhardt Rosenthal

              Geboren ist Siegbert Meinhardt Rosenthal am 11. Juli 1899 in Berlin. Es war das selbe Jahr, in dem die Ehe seiner Eltern - Markus Rosenthal und Minna Glass - in Brüche ging. Die beiden stammten aus dem westpreußischen Städtchen Czersk, hatten dort 1893 geheiratet, zwei Jahre später war ein erster Sohn auf die Welt gekommen: Harry. Damals lebte das Ehepaar in der ostpreußischen Kleinstadt Rastenburg (heute: Kętrzyn/Polen). 1902 heiratete die Mutter der beiden Jungen in Berlin den Kaufmann Leo Lippmann, 1905 wurde eine Tochter geboren, Johanna "Henny" Lippmann.

               

              Beide Rosenthal-Brüder zogen als Soldaten in den Weltkrieg. Nach dem Krieg kam Harry Rosenthal zur Schuhfabrik Salamander, deren Kornwestheimer Chefs Jakob Sigle und Max Levi unter anderem in Berlin eine Filiale gegründet hatten. Harry Rosenthal stieg schließlich zu deren Geschäftsführer auf - eine Position, die er nach dem Machtantritt der Nazis aufgeben musste. Mit einem Rückflugticket reiste er im Herbst 1938 nach Island in der Absicht, sich dort anzusiedeln. Sein Vermögen ließ er in Berlin zurück. In Islands Hauptstadt Reykjavik lebten seit 1934 seine Halbschwester mit ihrem zweiten Mann Hendrik Ottosson und Kind sowie die gemeinsame Mutter.

               

              Siegbert Rosenthal war in der deutschen Hauptstadt geblieben. Er hatte die gebürtige Berlinerin Erna Dorothea Bärwald (* 24. Dezember 1901) geheiratet, am 19. Juli 1939 kam ihr Sohn Denny zur Welt. Die junge Familie lebte in Berlin-Mitte in der Augustraße 51. Von Beruf war Siegbert Rosenthal Kaufmann. Möglicherweise wollte auch er, wie sein Bruder, nach dem Novemberpogrom 1938 aus Deutschland ausreisen und es könnte sein, dass man noch die Geburt abwarten wollte. Doch die finanzielle Lage für die Juden gestaltete sich immer prekärer. Siegbert Rosenthal arbeitete zuletzt als Wäscher bei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Seine Geschwister versuchten noch nachdrücklich, ihn mit Frau und Kind nach Island zu lotsen. Am Ende gelang es ihnen sogar, die Schwedische Botschaft zu mobilisieren, aber für ein Happy End reichte es nicht mehr. Als sich die Schweden im April 1943 in Berlin meldeten, waren Erna Rosenthal und ihr Söhnchen bereits tot. Ermordet in der Gaskammer von Auschwitz.

               

              Am 12. März 1943 waren die drei Rosenthals deportiert worden. Mit diesem Transport aus Berlin kamen am 13. März 1943 in Auschwitz 344 jüdische Männer sowie 620 jüdische Frauen und Kinder an. An der Rampe wurden 218 Männer und 147 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt, auch Siegbert M. Rosenthal, dem die Lager-SS die Nummer 107933 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 599 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Rosenthal musste bei den Buna-Werken im Lager Auschwitz-Monowitz Sklavenarbeit verrichten. Am 27. April 1943 wurde er wegen eines Geschwürs an der linken Hand ins Krankenrevier des Stammlagers Auschwitz überwiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 44-Jährige am 30. Juli 1943 mit 85 weiteren Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

            • Siegbert Meinhardt Rosenthal
              Siegbert M. Rosenthal

               

              Siegbert Meinhardt Rosenthal
              Siegbert M. Rosenthal
              im November 1939
              mit Sohn Denny in Berlin
              ©Petersdottir
          • S

            Frank Sachnowitz · Marie Sainderichin geb. Brodsky · Albert Saltiel · Maurice Saltiel · Maurice Saporta · Mordochai Saul · Gustav Seelig · Alice Simon geb. Remak · Emil Sondheim · Sigurd Steinberg · Nina Sustil

            • Frank Sachnowitz

              Larvik ist eine norwegische Hafenstadt rund 100 Kilometer südwestlich von Oslo. Hier wurde am 8. Februar 1925 Frank Sachnowitz als jüngstes von acht Kindern geboren. Sein Vater, Israel Sachnowitz, war aus dem russischen Krasnapolje im Jahr 1907 als 27-Jähriger nach Norwegen eingewandert. Juden hatten sich in dieser Zeit verstärkt von ihrer russischen Heimat abgewandt, weil ihnen wegen ihrer Religion Schwierigkeiten gemacht wurden. Israel Sachnowitz beispielsweise hatte schon vier Jahre Militärdienst hinter sich gebracht und er durfte noch immer nicht seinen Abschied nehmen. Darum hatte er sich zur Flucht entschlossen.

               

              In Oslo heiratete der Zuwanderer die zwei Jahre jüngere Litauerin Sara Lahn, hier kam 1910 der älteste Sohn Martin zur Welt. Die junge Familie zog weiter nach Larvik und eröffnete ein Herrenkonfektionsgeschäft. Sieben weitere Kinder wurden geboren: Elias (1911), Samuel (1912), Rita 1915, Marie (1919), Hermann (1921), Frida (1923) und schließlich Frank. Die Familie führte ein friedliches Leben, die Kinder erlernten Berufe, Elias eröffnete in Larvik ein zweites Konfektionsgeschäft. Das "Dressmagasinet" befand sich in der Torget 4 und das "Ekko" in der Prinsegata 8. Alle waren musikalisch, Hermann spielte wie sein Vater Trompete, Martin Zugposaune und Kontrabass, Elias Geige, Rita und Marie Klavier, Frank Tenorhorn, Marie hatte obendrein eine ausgeprägte Gesangsstimme. Einige dieser Musiktalente beteiligten sich in örtlichen Vereinen, Hermann und Frank beispielsweise in der Jugendkapelle.

               

              Für jedes der Kinder hatte der Vater bei der Geburt einen Apfelbaum im Garten gepflanzt. „Wir waren sehr stolz darauf“, schrieb Hermann Sachnowitz lange nach dem Krieg in seinen Erinnerungen. „Die Jüngsten wetteiferten miteinander, wessen Baum im Frühling die schönsten Blüten und im Herbst die meisten Früchte trug. Wir düngten und pflegten sie. Wir kletterten auf ihnen herum, saßen auf den Ästen, und jeder von uns hatte natürlich den schönsten Baum. Nur die Mutter hatte keinen Baum. Der Vater pflanzte ihn an dem Tage, da sie starb.“ Das war am 16. Oktober 1939.

               

              Außer der Familie Sachnowitz gab es in Larvik keine weiteren Juden. Man blieb in der Kleinstadt gut integriert, was sich erst änderte, als im April 1940 die Wehrmacht in Norwegen einmarschierte. Von nun an wurde für die wenigen Juden im Land der Alltag zunehmend schwerer.

              Die ersten massiven Schikanen begannen 1942 mit der Anweisung vom 10. Januar, die der norwegische Polizeiminister Jonas Lie auf Befehl der deutschen Sicherheitspolizei erteilte: Alle Ausweise von Juden mussten mit einem »J« gekennzeichnet werden. Wenig später forderten die örtlichen Polizeidienststellen die Juden auf, Fragebögen auszufüllen, derweil ein norwegisches „Statistikkontor“ ein Verzeichnis der einheimischen Juden zusammenstellte. Es wurde dann Grundlage für die späteren Verhaftungen.

               

              Bald nach der deutschen Okkupation in Norwegen war die Familie Sachnowitz aufs Land gezogen. Franks Vater hatte in Gjein, etwa 30 Kilometer außerhalb von Larvik. einen Bauernhof gekauft. Allerdings blieb die Hoffnung vergeblich, dort Ruhe vor den Nationalsozialisten finden zu können. Frank war 17 Jahre alt, als er in der Nacht zum 26. Oktober 1942 mit seinem Vater und seinen Brüdern in Gjein verhaftet und in das neu eingerichtete Gefangenenlager Berg eingewiesen wurde. Dieses Lager, das der norwegischen Polizeiunterstand, befand sich am Rand der Stadt Tønsberg, etwa 20 Kilometer vom Bauernhof der Familie Sachnowitz entfernt. Deren männlichen Angehörigen waren die ersten Juden in diesem Lager, in den nächsten Tagen und Nächte wurden weitere Familien und Einzelpersonen eingeliefert. Am 26. November wurden sie alle nach Oslo gebracht. Von dort aus transportierte ein Schiff der Kriegsmarine 532 jüdische Häftlinge nach Deutschland. Unterwegs entdeckten die Sachnowitz-Brüder auch ihre Schwester Marie an Bord. In Stettin wartete ein Eisenbahntransportzug, der die norwegischen Juden in zweitägiger Fahrt nach Auschwitz deportierte. Israel und Marie Sachnowitz wurden sofort nach der Ankunft in der Gaskammer getötet. Ebenso erging es den Schwestern Frida und Rita, die in einem späteren Transport Auschwitz erreichten.

               

              Die fünf Brüder kamen ins Lager Monowitz, wo sie bei den Buna-Werken zu Zwangsarbeit eingeteilt wurden. Samuel wurde von einem SS-Mann erschlagen, Martin und Elias kamen in den folgenden Wochen unter nicht bekannten Umständen ums Leben. Für Hermann bedeutete es unter den gegebenen Umständen Glück, als Trompeter Mitglied im Lagerorchester zu werden – er war der einzige, der Auschwitz überlebte.

               

              An Franks linkem Unterarm ließ die Lager-SS die Nummer 79238 eintätowieren. Bei den Buna-Werken im Außenlager Auschwitz-Monowitz musste er Sklavenarbeit verrichten bis zur völligen Erschöpfung. Am 6. Mai 1943 wurde er wegen Körperschwäche in eine Krankenbaracke eingeliefert und von dort ins Krankenrevier des Stammlagers überwiesen. Hermann erfuhr noch von einem Kameraden aus der Registratur, dass Frank ins KZ Natzweiler im Elsass verschleppt wurde, wo sich für ihn jede Spur verlor. Was ihm zeitlebens verborgen blieb: Frank wurde von den beiden Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Stamnmlager selektiert und mit 85 weiteren Jüdinnen und Juden in der Gaskammer von Natzweiler-Struthof ermordet. Sein Todesdatum war der 18. August 1943, er war 18 Jahre alt.

              Für Hilfen bei den Recherchen danke ich den beiden Nichten von Frank Sachnowitz, Marion Gamain und Rita Porat

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              Frank Sachnowitz
              Frank Sachnowitz

               

              Frank Sachnowitz mit Schwester
              Frank Sachnowitz mit seiner Schwester in Larvik

               

              Sachnowitz Geschäft
              Geschäft von Franks Bruder Elias in Larvik

               

              Frank Sachnowitz
              Stolpersteine in Larvik
              Sveinsgate Straße 15

               

              APFELBAUM
              Israel Sachnowitz pflanzte für jedes seiner Kinder Apfelbäume in seinem Garten. Sie blühen noch heute
            • Marie Sainderichin geb. Brodsky

              Geboren am 4. Juni 1881 in Kischinew (heute die Hauptstadt Moldawiens) als Tochter von David Brodsky. Die Familie wanderte 1883 nach Belgien aus. Marie heiratete dort am 22. August 1905 Abraham Leib Sainderichin (* 15. Dezember 1885 in Moskau). Sie bringen in Antwerpen vier Kinder zur Welt: Berthe (* 19. Juni 1906), David Maurice (* 7. Juli 1908), Anna (* 19. Dezember 1911) und Maurice (26. Oktober 1915). Nach dem Tod ihres Mannes am 4. Juni 1931 lebte Marie Sainderichin zunächst mit ihren Kindern, von 1936 an aber alleine. Ihr letzter Wohnort war seit dem 25. August 1937 eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Rue Delin 71 in Antwerpen, deren Mobiliar nach der Deportation der Inhaberin im Rahmen der so genannten “Möbelaktion” am 31. Juli 1943 durch die deutsche Besatzungsmacht beschlagnahmt wurde.

               

              Marie Sainderichin wurde am 12. Februar 1943 verhaftet, im Lager Mechelen interniert und am 19. April 1943 mit dem 20. Transportzug von Mechelen nach Auschwitz deportiert. Am 22. April 1943 kamen mit diesem Transport 507 Männer, 121 Jungen, 631 Frauen und 141 Mädchen, allesamt Juden, dort an. An der Rampe wurden 276 Männer und 245 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 879 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker wählten sie im Juni 1943 aus, weil die SS-Wissenschaftsorganisation "Ahnenerbe" Leichen benötigte, um an der Reichsuniversität Straßburg eine rassenanthropolosche Schausammlung aufzubauen. 86 Jüdinnen und Juden wurden zu diesem Zweck am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort in der Gaskammer ermordet. Darunter auch, wenige Wochen nach ihrem 62. Geburtstag, Marie Sainderichin. Ihr Todestag war der 11. August 1943.

               

              Von ihren Kindern überlebten Berthe Moreels, die im selben Jahr 1999 starb wie ihr Bruder Maurice, der im Krieg als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden war und in Baumholder Zwangsarbeit verrichten musste.

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              Sainderichin_Marie_2
              Marie Sainderichin

               

              Marie Sainderichin geb. Brodsky
              Marie Sainderichin
            • Albert Saltiel

              Geboren wurde Albert Saltiel vermutlich in Thessaloniki (Griechenland). Sein Geburtsdatum nicht bekannt. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Albert Saltiel am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an.

               

              An der Rampe schickte die SS ausgewählte 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager - darunter Albert Saltiel, dem die SS die Nummer 119970 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2932 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Albert Saltiel wurde am 13. Mai 1943 im Stammlager Auschwitz in Block 21, dem Häftlingskrankenhaus, an einem Geschwür operiert. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde er am 30. Juli 1943 mit 85 weiteren Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Maurice Saltiel

              Maurice Saltiel wurde im Jahr 1920 in Thessaloniki geboren. Seine Eltern waren Eliahu Saltiel und Riqueta. Nach seiner Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Maurice Saltiel am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an.

               

              An der Rampe schickte die SS ausgewählte 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager - darunter auch Maurice Saltiel, dem die SS die Nummer 119972 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2932 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Mit Maurice kam auch sein Cousin Synto Saltiel ins Lager, der die Nummer 119971 bekam. Die beiden hatten eine besondere Beziehung zueinander: Syntos Vater war Pate von Maurice und der Vater von Maurice war Pate von Synto.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde Maurice Saltiel am 30. Juli 1943 mit 85 weiteren Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Für Hilfen bei der Recherche danke ich Béatrice Saltiel und Marty Saltiel.

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            • Maurice Saporta

              Geboren 1920 in Thessaloniki (Griechenland) als Sohn von Avraam Saporta und Matilde geb Saporta. Mit seinen Eltern und seiner Schwester Laura lebte er in Thessaloniki in der Sarantaporou 16. Zusammen mit Eltern und Schwester wurde Maurice Saporta am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Dort kamen am 4. Mai 1943 mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder an. An der Rampe wurden ausgewählte 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt - so wie Maurice Saporta, dem die Lager-SS die Nummer 119974 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 2392 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht, darunter die Eltern und wahrscheinlich auch die Schwester von Maurice Saporta.

               

              Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 23-Jährige am 30. Juli 1943 mit 85 weiteren Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Bei der biographischen Recherche unterstützte mich Aliki Arouh vom Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki.

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            • Mordochai Saul

              Geboren 1906 in Thessaloniki (Griechenland) als Sohn von Benjamin und Reina Saul. Mordochai Saul heiratete Rashel Levi, zwei Kinder kamen zur Welt: Benjamin und Julie (* 1939). Am 28. April 1943 wurde die Familie nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden ausgewählte 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, so wie Mordohai Saul, dem dort die Nummer 119980 in den Arm tätowiert wurde. Die übrigen 2392 Personen wurden direkt in die Gaskammer getrieben und umgebracht, darunter Saul Mordochais Frau, Kinder und Eltern. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 37-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Aus der Familie überlebte lediglich Mordochais Bruder Daniel, der bereits 1932 nach Palästina ausgewandert war.

               

              Bei der biographischen Recherche unterstützte mich Aliki Arouh vom Archiv der Jüdischen Gemeinde in Thessaloniki.

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            • Gustav Seelig

              Geboren am 14. November 1878 in der Gemeinde Bandsechow, Kreis Stolp/Pommern (heute: Będziechowo/Polen). Gustav Seelig war das zweitälteste von acht Kindern (vier Brüder, vier Schwestern) von Guter und Ernestine Seelig. Er war noch Kind, als seine Eltern nach Berlin zogen. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Kaufmannslehre in Berlin und eröffnete dort im Jahr 1904 sein erstes Textilgeschäft. Zwei Jahre später heiratete er die gebürtige Berlinerin Clara Gellert (* 2. Juli 1881) in Berlin). Noch vor 1914 eröffnete der tüchtige Kaufmann zwei weitere Textilgeschäfte. Vier Tage nach Kriegsbeginn, am 5. August 1914, kam Seelig zum Militär und blieb Soldat bis Weltkriegsende, derweil seine Frau die Betriebe zunächst fortführte, wegen Personalengpässe und rückläufiger Nachfrage zwei angemietete Läden schließen musste.

               

              Gustav Seeligs letzte Wohnadresse in Berlin war die Kopenhagener Straße 11 im Prenzlauer Berg. Dort bestand auch der Hauptbetrieb, ein Textil-, Weiß- und Kurzwarengeschäft, dessen Eigentümer Seelig war. Am 19. August 1935 verhaftete ihn die Gestapo und brachte ihn ins Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Derweil zerschlugen SA-Leute die zwei großen Schaufenster und die Eingangstür des Geschäfts, plünderten die Auslagen und auch Warenbestände im Laden. "Außerdem lag noch ein Teil der Ware systematisch verschmutzt und zertrampelt auf dem Fußboden umher", berichtete Seeligs Tochter Herta Noah, und: "Mein Vater war durch diese großen Aufregungen physisch und nervlich herunter und musste sich in ärztliche Behandlung begeben." Von den gewalttätigen Boykottaktionen waren in jenen Augusttagen viele jüdischen Geschäfte betroffen, um deren Inhaber zu zermürben. Anfang 1938 musste sich Gustav Seelig dem politischen und ökonomischen Druck beugen und sein Geschäft zum Schleuderpreis verkaufen.

               

              Herta Noah emigrierte mit ihrem Ehemann Herbert im Herbst 1940 nach Südamerika. Ihre Eltern versuchten offenbar zu folgen, denn sie hatten bei einer Hamburger Reederei bereits Passagegeld einbezahlt. Es gelang dem Ehepaar jedoch nicht mehr aus dem Land zu kommen. Gustav Seelig musste sich zu Zwangsarbeit als Maschinenarbeiter bei Siemens-Schuckert verpflichten lassen. Am 2. März 1943 wurde er während der sogenannten Fabrikaktion der Nazis am Arbeitsplatz verhaftet. "Nachdem meine Mutter vergeblich auf ihn wartete", schrieb seine Tochter, "stellte sie sich freiwillig, um mit ihm zusammen sein zu können." Das Ehepaar Seelig wurde am 4. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 6. März 1943 kamen mit diesem Transport 1405 jüdische Männer, Frauen und Kinder dort an. An der Rampe wurden 406 Männer und 190 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Gustav Seelig, dem die Lager-SS die Nummer 106786 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 809 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht, auch Clara Seelig. Gustav Seelig, den man mit Sklavenarbeit bei den Buna-Werken im Lager Auschwitz-Monowitz beschäftigte, wurde am 29. März 1943 wegen einer Fraktur am rechten Unterschenkel ins Krankenrevier des Stammlagers Auschwitz überwiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde der 64-Jährige am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

               

              Bittere Ironie am Rande: Ende Januar 1945 plagte die Berliner Gaswerke noch eine offene Rechnung, die an die Oberfinanzdirektion gerichtet wurde: "Wir haben an Seelig noch eine Forderung von RM 16,00 für Gasverbrauch und bitten daher um Erstattung dieses Betrages."

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              Gustav Seelig
              Stolperstein Berlin
              Kopenhagener Straße 11
            • Alice Simon geb. Remak

              Als älteste von drei Kindern wurde Alice Simon am 30. August 1887 in der preußischen Stadt Posen (heute: Poznań/Polen) geboren. Der Anteil der Juden in dieser Stadt lag damals bei zehn Prozent. Sie fühlten sich als Deutsche, die unter den 68.000 Einwohnern knapp die Minderheit waren. Etwa 35.000 Einwohner waren Polen. Unter den christlichen Deutschen freilich waren die Juden nicht sonderlich gelitten, weshalb schon seit etlichen Jahren und auch fortdauernd die Juden verstärkt in Richtung Westen abwanderten.

               

              Alice Simon wuchs in einer Kaufmannsfamilie auf. Ihr Vater war Arnold Remak, ihre Mutter Hedwig Löw. Auf Alice folgten als nächste Kinder Else (* 1888) und Curt (* 1897), 1904 trennte sich das Ehepaar Remak. Die geschiedene Mutter, 40 Jahre alt, siedelte mit ihren Kindern 1905 nach Charlottenburg. Arnold Remak wollte ebenfalls nicht für immer in Posen bleiben, 1923 zog auch er nach Berlin, wo er allerdings kurze Zeit später, am 16. Mai 1923, im Alter von 69 Jahren starb.

               

              Alice Simon arbeitete als Sekretärin in der Kanzlei des Berliner Rechtsanwalts Dr. Herbert Simon. Er war in ihrer alten Heimat geboren, am 1. Januar 1881 in Bromberg (heute Bydgodszcz), und hatte nach dem Ersten Weltkrieg, in den er als Soldat eingezogen war, eine Anwaltskanzlei eröffnet. Der Jurist und seine Sekretärin verliebten sich und ehe sie heirateten, ließen sie sich evangelisch taufen. Die Hochzeit fand am 2. August 1920 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche statt. Am 30. Juni 1921 kamen Zwillinge zur Welt, Carl und Hedda. Beide wurden evangelisch getauft, 1935 erfolgte die Konfirmation durch Pastor Gerhard Jacobi. Jacobi war ein leitendes Mitglied der Bekennenden Kirche, das wegen jüdischer Vorfahren von den Nazis „Judenpastor“ genannt wurde und vielen Repressalien ausgesetzt war.

               

              Die Simons brachten es zu einigem Wohlstand, bezogen in der ersten Etage der Joachimsthaler Straße 12 eine Sieben-Zimmer-Wohnung, in der noch Herbert Simons Mutter und die Hausangestellte Ottilie Lenz lebten. Die kompletten zwei Monate Sommerferien verbrachte Alice Simon mit ihren Zwillingen in Swinemünde an der Ostsee, der Familienvater stieß an einigen Wochenenden aus Berlin hinzu.

               

              Den tiefen Einschnitt brachte die Nazizeit. Als ehemaliger Frontsoldat durfte Herbert Simon seine Rechtsanwaltskanzlei zwar noch weiterführen, doch das Notariat wurde ihm im Spätjahr 1935 entzogen. Am 26. Januar 1936, erst 55 Jahre alt, ist er gestorben. Seine Witwe schickte mit Unterstützung einer Hilfsorganisation der Quäker die Kinder zur weiteren Ausbildung in die Forest School im Londoner Stadtteil Snaresbrook: Carl, der zuletzt das Berliner Grunewald-Gymnasium besucht hatte, noch im Sommer 1936, Hedda ein Jahr danach. Im Sommer 1938 kam Alice Simon für ein paar Wochen nach London, konnte jedoch von der Schulleitung trotz nachdrücklicher Versuche nicht zum Bleiben überredet werden.

               

              Alice Simon hatte ihrem Mann versprochen, um dessen nahezu blinde Mutter besorgt zu sein. Da sie ihre Zwillinge in Sicherheit wusste, blieb sie in Berlin. Nach dem Münchener Abkommen vom 30. September 1938 blickte die politisch interessierte Frau zuversichtlich nach vorne. In einem der wenigen von ihr erhaltenen Briefe schrieb sie am 3. Oktober 1938: „In letzter Sekunde konnte alles zum Besten geregelt werden, dank dem Treffen der führenden Politiker. Jedes Land hatte unter dem letzten schrecklichen Krieg zu leiden, den alle noch gut in Erinnerung haben. Sie werden sicher verstehen, wie froh und dankbar wir alle sind, weil jetzt der Friede gesichert ist.“

               

              Mutter und Kinder sahen sich nie wieder. Zwei Tage nach Absendung des optimistischen Briefes wurden den Juden die Reisepässe eingezogen. Ein Ausreisevisum hat Alice Simon nie gestellt. Sie arbeitete eine Weile unentgeltlich in der Kantstraße als Buchhalterin bei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, nur wenige Gehminuten von der Joachimsthaler Straße entfernt. Ihre Schwiegermutter war im Dezember 1942 in einem jüdischen Heim gestorben, wohin sie kurz zuvor umziehen musste. Anfang Mai 1943 holte die Gestapo Alice Simon aus ihrer Wohnung und brachte sie in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße. Am 18. Mai 1943 musste sie in einem Transportzug Berlin verlassen, der ungefähr 1000 jüdische Männer, Frauen und Kinder nach Auschwitz deportierte.

               

              Luise Cotta, eine Freundin von Alice Simon, schrieb an deren Tochter Hedda nach dem Krieg, dass sie abends etwas zu Essen in die Große Hamburger Straße brachte, zehn Tage lang bis zur Abfahrt nach Auschwitz: „Das war das Letzte, was ich für sie tun konnte, und sie hat sich in kleinen Briefchen, die sie mir heimlich zukommen lassen konnte, herzlich bedankt. Dann bekam ich 2 Monate später noch mal einen kurzen Kartengruß von ihr aus dem K.Z. Birkenau bei Auschwitz, das war das letzte Lebenszeichen von ihr. Dann mag das schreckliche Ende gekommen sein.“

               

              An der Rampe von Auschwitz wurden am 19. Mai 1943 dofort nach der Ankunft 805 Personen sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht. 80 Männer und 115 Frauen schickten die Selekteure als Häftlinge in das Lager. Mindestens vier der Frauen (außer Alice Simon noch Sophie Boroschek, Else Leibholz und Friedel Levy) wiesen sie in den Block 10 im Stammlager Auschwitz, der etwa sechs Wochen zuvor als ein Ort für medizinische Versuche eingerichtet worden war. [siehe: Block 10] Hier ließ die Lagerverwaltung der Mutter von Hedda und Carl die Nummer 45263 auf den linken Unterarm tätowieren. In der zweiten Juni-Woche 1943 wurden drei der vier genannten Berliner Frauen von den beiden SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker ausgewählt und mit weiteren Jüdinnen und Juden anthropologisch untersucht: Außer Alice Simon waren dies Sophie Boroschek und Else Leibholz. [siehe: Anthropologen in Auschwitz]

               

              Gedenken01

              Debbie Konkol, Joanne Weinberg und Chris Halverson, alle USA, besuchten am 21. Mai 2015 mit ihren Ehemännern das Grab ihrer Großmutter. Bitte klicken Sie hier, um das Lied zu hören, das sie dort anstimmten. © R. Toledano

               

               

              Als eine von 86 Frauen und Männern kam Alice Simon – am 30. Juli 1943 per Zug auf Transport geschickt – am 2. August 1943 im KZ Natzweiler-Struthof an. Dort wurde sie am 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet - kurz vor ihrem 56. Geburtstag. Ihr Körper lag zwei Jahre konserviert im Anatomischen Institut der Reichsuniversität Straßburg, die vorgesehene Skelettsammlung wurde nie verwirklicht. Einige Zeit nach der Befreiung von Strasbourg erfolgte die Beerdigung in einem Massengrab auf dem Jüdischen Friedhof von Strasbourg-Cronenbourg. Ihr Bruder Curt, von dem Alice Simon wusste, dass er am 17. März 1943 nach Theresienstadt deportiert worden war, wurde in Auschwitz ermordet.

               

              Carl Simon konnte, dank einer wohltätigen Amerikanerin, seine Ausbildung in den USA fortsetzen. Seiner Ausreise hatte seine Mutter schweren Herzens zugestimmt. An Bord der „Mauretania“ passierte der 18-Jährige am 1. Mai 1939 die Freiheitsstatue vor New York. Nach seinem Studium wurde er Pastor bei der Presbyterianischen Kirche. Seine Schwester folgte ihm nach dem Krieg aus London in die USA. Beide Geschwister heirateten, Hedda bekam zwei Kinder und Carl fünf.

               

              Helene Lenz, Nichte der langjährigen Haushälterin Ottilie Lenz, schrieb 1947 an Hedda Simon: „Wenn Sie an Ihre liebe Mutter denken, können u. sollen Sie mit Stolz an sie denken, an einen Menschen, der innerlich u. äußerlich bis zum Letzten seine Pflicht als Mensch tat, ein Mensch, der groß u. stolz war, der ein Held war. Nirgends wird ihr wo ein äußeres Denkmal gesetzt sein. Aber im Herzen ihrer Kinder kann ihr Denkmal nicht groß genug sein. Und da man jetzt ja offen auch hier von dieser Zeit sprechen kann, habe ich schon mehrmals von Ihrer lieben Mutter gesprochen als von einem Menschen, der verdient, dass er nie vergessen wird.“

               

              Für Hilfen bei den Recherchen bedanke ich mich bei Alice Simons Sohn Carl.

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              Alice Simon
              Alice Simon
               
              Der Stolperstein
              Stolperstein in Berlin, Joachimsthaler Straße
               
              Herbert Simon
              Herbert Simon (1881-1935), Ehemann von Alice Simon.
               
              Simon Remak-Shop
              Aufgewachsen ist Alice Simon in Posen. Ihr Vater betrieb dort mit seinem Bruder in der City eine Papierhandlung (Pfeil).

               

              Simon Haus
              Straßenansicht des Gebäudes Joachimstalerstraße 12 in Berlin-Charlottenburg. In der ersten Etage wohnte Alice Simon mit ihrem Mann Herbert und den Zwillingen Hedda und Carl. Diese Haushälfte wurde bei einem Bombenangriff 1944 zerstört.
            • Emil Sondheim

              Geboren am 24. Juni 1886 in Dejwitz, einem Vorort von Prag. Wohnhaft in Berlin, Prenzlauer Berg, in der Varnhagenstraße 13, seit Oktober 1942 in einem möblierten Zimmer in der Hochmeisterstraße 10. Zuletzt war er als Zwangsarbeiter bei der Reichsbahn verpflichtet. Zum Zeitpunkt der Deportation geschieden, Ehefrau Hedwig geb. Zahn (geboren am 1. Februar 1896) war keine Jüdin.

               

              Emil Sondheim wurde am 4. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 6. März 1943 kamen mit diesem Transport 1405 jüdische Männer, Frauen und Kinder dort an. An der Rampe wurden 406 Männer und 190 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager eingewiesen - darunter Emil Sondheim, dem die Lager-SS die Nummer 106569 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 809 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.<

               

              Emil Sondheim hatte in den Buna-Werken im Außenlager Auschwitz-Monowitz arbeiten müssen. Am 12. Mai 1943 wurde er wegen allgemeiner Schwäche ins Krankenrevier des Stammlagers Auschwitz geschickt. Dort wurde der 53-Jährige im Juni 1943 von den beiden Rassen-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert, am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 jüdischen Frauen und Männern ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und dort am 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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            • Sigurd Steinberg

              Benno Steinberg (* 4. November 1890 in Berlin) und Susanne geb. Kulies (* 13. Februar 1894 in Leipzig) hatten zwei Kinder: Margot (* 6. August 1920 in Berlin) und Sigurd Julius (geboren am 11. August 1921 in Berlin). Sigurd besuchte in Berlin-Kreuzberg die (heute so heißende) Birger-Forell-Schule, danach das Friedrichs-Realgymnasium (heute: Leibniz-Gymnasium), das er im März 1937 verließ, um eine Kaufmannslehre zu beginnen. Zuletzt wohnte er in Berlin-Kreuzberg, Tempelherrenstraße 3, in einem möblierten Zimmer. Seine Schwester wurde im September 1942 nach Riga deportiert und dort am 29. Oktober 1942 ermordet. Die übrigen Familienmitglieder wurden - mit einer Ausnahme - im März 1943 in Auschwitz wie am Fließband umgebracht. Der Vater saß in einem Transportzug, der am 1. März losfuhr, die Mutter am 2. März. In weiteren Transporten Anfang März folgten auch Benno Steinbergs Schwestern Franziska Heliasowicz und Bella Fraenkel mit ihren Männern - alle wurden sie in der Gaskammer ermordet.

               

              Den 21-jährigen Sigurd Steinberg verhaftete die Gestapo im Zuge der sogenannten Fabrikaktion am Arbeitsplatz und deportierte ihn zusammen mit seiner gleichaltrigen Frau Ingeborg geb. Schohes (* 13. Januar 1922 in Gleiwitz) am 3. März von Berlin nach Auschwitz. Tags darauf kamen mit diesem Transport 632 jüdische Männer und 1118 jüdische Frauen und Mädchen dort an. An der Rampe wurden 517 Männer und 200 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Sigurd Steinberg, dem die Lager-SS die Nummer 105894 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1033 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Zu ihnen gehörte auch Steinbergs Frau. Er selbst, der Zwangsarbeit in Auschwitz-Monowitz für die Buna-Werke verrichten musste, wurde am 5. Juni 1943 mit einer Lungenentzündung ins Krankenrevier des Stammlagers Auschwitz überwiesen. Nach einer Selektion durch die SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker im Juni 1943 wurde er am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof gebracht und dort am 16. August 1943, wenige Tage nach seinem 22. Geburtstag, in der Gaskammer ermordet.

               

              Die beiden oberen Fotos schenkte mir Monika Winter aus Havelberg. Ihre Großmutter war zeitweise als Haushälterin und Kindermädchen bei den Steinbergs in Berlin angestellt. Das untere Foto überließ mir Dr. Gerhard Domaß, ein ehemaliger Klassenkollege.

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              STEINBERG_1a
              Sigurd Steinberg
              ©Archiv Lang
               

               

              STEINBERG_Barmizwa
              Sommer 1934: Sigurd Steinberg wird Barmizwa
              ©Archiv Lang
               
              Sigurd
              Sigurd Steinberg (roter Pfeil) ca 1936 in seiner Schulklasse im Berliner Friedrichs-Realgymnasium
            • Nina Sustil

              Geboren am 14. Juli 1920 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde Nina Sustil am 28. April 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. Mai 1943 kamen mit diesem Transport 2930 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 220 Männer und 318 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt, die übrigen 2932 Personen wurden sofort in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Nina Sustil wurde mit weiteren Griechinnen in den Block 10 im Stammlager Auschwitz eingewiesen und gehörte zu den 29 Frauen und 57 Männern, die von den SS-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker für eine geplante rassenanthropolische Schausammlung ausgesucht wurden. Am 30. Juli 1943 wurden die 86 Jüdinnen und Juden ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und an vier August-Tagen in der Gaskammer ermordet. Todestag der 23-jährigen Nina Sustil war der 11. oder 13. August 1943.

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          • T

            Menachem Taffel · Martha Testa

            • Menachem Taffel

              Geboren am 21. Juli 1900 in dem galizischen Städtchen Sedriczow (heute: Sędziszów/Polen). Menachem Taffel kam vermutlich nach dem 1. Weltkrieg nach Berlin, heiratete die ebenfalls aus Galizien stammende Klara Schenkel (* 23. April 1899 in Krosno) und machte sich als kleiner Händler selbstständig. Am 31. Mai 1928 kam die Tochter Ester zur Welt, die von 1935 an die Mädchenvolksschule der Jüdischen Gemeinde Berlin besuchte und nach ihrer Schulzeit als ehrenamtliche Helferin im Israelitischen Krankenheim in der Elsässer Straße arbeitete. Die Taffels wohnten 1929 in der Ackerstraße 5, 1931 in der Rheinsberger Straße 30 und betrieben eine Milchhandlung. Sie mussten 1938 bei Menachems Schwiegereltern in Berlin in der Elsässer Straße 8 einziehen: David Schenkel (* 6. August 1870 in Frysztak/Polen) und Breindel geb. Pindles (* 1872 in Korczyna/Polen). In der Elsässerstraße 8 führte Breindel Schenkel laut Adressbuch bis 1938 einen Stoffladen. Ein Zusammenhang zwischen der Aufgabe des Ladens und dem Einzug der Taffels liegt nahe. Am 19. April 1942 wurde das Ehepaar Schenkel in das KZ Theresienstadt deportiert, wo David Schenkel im Juni 1943 gestorben ist. Seine Frau wurde einige Zeit später in Auschwitz ermordet.

               

              Menachem, Klara und Ester Taffel wurden am 12. März 1943 mit dem 36. Osttransport von Berlin nach Auschwitz deportiert. Am 13. März 1943 kamen mit diesem Transport 344 jüdische Männer sowie 620 jüdische Frauen und Kinder dort an. An der Rampe wurden 218 Männer und 147 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Menachem Taffel, dem die Lager-SS die Nummer 107969 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 599 Personen – darunter Menachems Frau und seine Tochter – wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht. Menachem Taffel, der bei den Buna-Werken im Außenlager Auschwitz-Monowitz beschäftigt war, wurde am 30. April 1943 wegen eines Geschwürs am linken Fuß ins Krankenrevier des Stammlagers Auschwitz überwiesen. Dort wurde der 43-Jährige im Juni 1943 von den beiden Rassen-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert, am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 jüdischen Frauen und Männern ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und am 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet. Seine Leiche brachten SS-Mitglieder zum Anatomischen Institut der Reichsuniversität Straßburg.

               

              Auf einem Foto, das nach der Befreiung Strasbourgs während der gerichtsmedizinischen Obduktion von seiner Leiche aufgenommen wurde, kann man auf dem linken Unterarm die KZ-Nummer aus Auschwitz erkennen. Darum konnte Hermann Langbein, damals Vorsitzender des Internationalen Auschwitz-Komitees, Menachem Taffel identifizieren. Das war während der Ermittlungen für den Frankfurter Auschwitz-Prozess. Fast vier Jahrzehnte vergingen, bis auch die übrigen 85 Opfer des "Ahnenerbe"-Verbrechens identifiziert wurden. Auf Taffel wurde die Weltöffentlichkeit im Sommer 2015 noch einmal aufmerksam gemacht. Damals waren nach einer Initiative des Strasbourger Forschers Raphael Toledano in einem Schrank des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Strasbourg drei Gläschen entdeckt worden. Sie enthielten Hautpartikel und Spuren des Mageninhalts, die nach der Obduktion als Beweismittel zurückgehalten worden waren. Sie lassen sich Menachem Taffel zuordnen und wurden am 6. September 2015 auf dem Jüdischen Friedhof von Strasbourg beigesetzt.

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              Menachem Taffel
              Straße in Strasbourg
              benannt nach Menachem Taffel

               

              Menachem Taffel
              Stolperstein in Berlin
              Rheinsberger Straße 30
            • Martha Testa

              Geboren im Juni 1923 in Thessaloniki (Griechenland). Nach ihrer Internierung durch die Gestapo im Ghetto Baron Hirsch in Thessaloniki wurde sie nach Auschwitz deportiert. Am 9. April 1943 kamen mit diesem Transport 2500 jüdische Frauen, Männer und Kinder dort an. An der Rampe wurden 318 Männer und 161 Frauen als Häftlinge ins Lager geschickt. Die übrigen 2021 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Mit anderen Frauen dieses griechischen Transports kam Martha Testa in den Block 10 im Stammlager Auschwitz. Die Lager-SS ließ ihr die Nummer 40436 in den linken Unterarm tätowieren. Die Häftlingsfrauen in diesem Block wurden medizinischen Versuchen unterworfen, Martha Testa vermutlich nicht. Sie gehörte zu einer Gruppe von 29 Frauen aus diesem Block, die zusammen mit 57 Männern im Juni 1943 von den beiden Rassen-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert und am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert wurden. Dort wurde die 20-Jährige am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

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          • U

            Marie Urstein geb. Brandriss

            • Marie Urstein geb. Brandriss

              Geboren am 6. Januar 1892 in der galizischen Gemeinde Grzymałów (heute: Hrymajliw/Ukraine) als eines von sechs Kindern. Von Beruf Näherin. 1918 heiratete Marie Brandriss in Wien den knapp 13 Jahre älteren Drucker Leibusch-Leon Urstein. Im Februar 1918 wurde den beiden in Wien eine Tochter geboren und am 24. Februar 1924, ebenfalls in Wien, ein Sohn. Marie und Leibusch Urstein emigrierten 1938 nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich nach Belgien. Sie wohnten von 1939 an in Antwerpen. Vergeblich bemühten sie sich 1939, zu ihrer Tochter nach London zu gelangen. Überliefert ist auch ein ergebnisloser Versuch von Marie Urstein aus dem August 1941, von Antwerpen aus nach Brasilien auszuwandern. Beide Kinder überlebten: Sohn Dennis (ursprünglich Adolf) starb 2009 in Toronto, Tochter Lily starb am 4. Februar 2017 in Stuttgart.

               

              Marie Urstein wurde am 22. Januar 1943 in Mechelen interniert und am 19. April 1943 im selben Zug wie ihr Mann nach Auschwitz deportiert. Am 22. April 1943 kamen mit diesem 20. Transport 507 Männer, 121 Jungen, 631 Frauen und 141 Mädchen, allesamt Juden, dort an. An der Rampe schickte die SS 276 Männer und 245 Frauen als Sklavenarbeiter ins Lager, die übrigen 879 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht. In Auschwitz hat Marie Urstein als erlernten Beruf Schneiderin angegeben. Mit anderen Frauen des belgischen Transports kam sie in den Block 10 im Stammlager Auschwitz. Die Häftlingsfrauen in diesem Block wurden medizinischen Versuchen unterworfen, Marie Urstein vermutlich nicht. Sie gehörte zu einer Gruppe von 29 Frauen aus Block 10, die zusammen mit 57 Männern im Juni 1943 von den beiden Rassen-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert und am 30. Juli 1943 ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert wurden. Dort wurde die 51-Jährige am 11. oder 13. August 1943 in der Gaskammer ermordet.

            • Marie Urstein
              Marie Urstein

               

              URSTEIN.Marie
              Marie Urstein mit ihrem Mann Leibusch und ihrer fünfjährigen Tochter Lily im Jahr 1924 in Wien.
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          • W

            Walter Wollinski

            • Walter Wollinski

              Geboren am 21. Oktober 1925 in Züllichau als jüngerer Sohn des Kaufmanns Emil Wollinski und dessen Frau Else geb. Eisack. Walter Wollinski wurde 1932 in Züllichau eingeschult. Die Familie stammt ursprünglich aus Wagrowiec (Wongrowitz) und hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg in Züllichau (damals Brandenburg) niedergelassen, wo die Brüder Hermann und Emil ein Haus am Markt besaßen und ein Eisen- und Haushaltswarengeschäft betrieben. Die beginnende Juden-Verfolgung und daraus resultierende wirtschaftliche Probleme veranlassten die Wollinskis zum Umzug nach Berlin, wo sie in der Koblanckstraße (heute Zolastraße) lebten. Seinen Schulabschluss machte Walter Wollinski am 29. März 1940. Zur Zeit der Volkszählung von 1939 wohnte er mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder Siegrfried in Berlin-Kreuzberg in der Neuenburger Straße 13.

               

              Die Brüder Emil (* 18. Dezember 1881 in Lebus) und Hermann Wollinski (* 28. Juni 1888) hatten noch zwei Geschwister: Samuel (29. Oktober 1880) und eine Schwester namens Röschen (* 5. Dezember 1884). Samuel, der eine nichtjüdische Frau heiratete, konnte in der Brandenburgischen Stadt Zehdenick die Nazizeit überleben. Er starb 1963 in Berlin.

               

              Hermann Wollinski, der 1920 Regina Tannchen heiratete, hatte mit ihr vier Kinder: Werner (* 17. Juli 1921), Wolfgang, Manfred und Steffi. Er starb am 8. Februar 1942 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin an Mengitis, seine Frau Regina sowie die Kinder Wolfgang, Manfred und Steffi (damals siebzehn, elf und vier Jahre alt) wurden am 26. Februar 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Werner absolvierte in Neuendorf, einem von drei Dutzend jüdischen Hachshara-Zentren in Deutschland, von April 1936 an eine zweijährige landwirtschaftliche Ausbildung. Ihm ist es noch im August 1939 gelungen, nach Australien zu emigrieren, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2011 lebte. Emil und seine Frau Else wurden zusammen mit seiner Mutter am 15. August 1942 und Röschen am 5. September 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet.

               

              Walter und sein Bruder Siegbert (* 31. August 1920 in Wongrowitz/Posen) mussten aus der elterlichen Wohnung ausziehen. Fortan wohnten sie in einem gemeinsamen Zimmer in der Kaiserstraße 35 zur Untermiete bei Fuchs. Beide arbeiten als zwangsverpflichtete Tischler bei Fritz Müller in Mariendorf (Lankwitzerstraße 1–3). Die Brüder Wollinski wurden am 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Am 4. März 1943 kamen mit diesem Transport 632 jüdische Männer und 1118 jüdische Frauen und Mädchen dort an. An der Rampe wurden 517 Männer und 200 Frauen ausgewählt und als Sklavenarbeiter ins Lager geschickt - darunter Walter Wollinski, dem die Lager-SS die Nummer 105737 auf den linken Unterarm tätowieren ließ. Die übrigen 1033 Personen wurden in die Gaskammer getrieben und umgebracht.

               

              Walter Wollinski, der als Sklavenarbeiter bei den Buna-Werken im Außenlager Auschwitz-Monowitz verpflichtet worden war, wurde am 16. April 1943 wegen schwerem Durchfall ins Krankenrevier des Stammlagers Auschwitz überwiesen. Dort wurde er im Juni 1943 von den beiden Rassen-Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker selektiert, am 30. Juli 1943 mit weiteren 85 jüdischen Frauen und Männern ins KZ Natzweiler-Struthof deportiert und dort am 16. oder 18. August 1943 in der Gaskammer ermordet. Er war 17 Jahre alt.

               

              Auch Siegbert Wollinski hat die Shoah nicht überlebt.

               

              Zusätzliche Angaben über die Schicksale der Wollinskis verdanke ich Peter Wollinski, dem Sohn von Walter Wollinskis Cousin Werner.

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              Wollinski Haus

               

              Walter Wollinskis Vater und dessen Bruder betrieben in Züllichau ein Eisen- und Haushaltswarengeschäft. Hier ist Walter aufgewachsen. Das Wohn- und Geschäftshaus (oben ein Bild aus einem früheren Zeitpunkt 1899) stand am Markt. Es ist das zweite Haus von rechts. Unten eine Anzeige aus der Züllichauer Lokalzeitung.
              Foto: Sammlung Peter Wollinski

               

              Wollinski Walter
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Hans-Joachim Lang

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INHALT

 

Werner Renz: Fritz Bauer sells. Kritische Anmerkungen zu Julien Reitzensteins "Anklageschrift" gegen Bruno Beger oder das Verbrechen der "Straßburger Schädelsammlung" als Gegenstand forensischer Geschichtsschreibung. (September 2018)

 

Hans-Joachim Lang: Nicht alle Besen kehren gut. Julien Reitzenstein fegt durch die Geschichte der 86 Morde im KZ Natzweiler-Struthof. Anmerkungen zu einer Neuerscheinung (April 2018)

 


 

Werner Renz

Fritz Bauer sells

Kritische Anmerkungen zu Julien Reitzensteins »Anklageschrift« gegen Bruno Beger oder das Verbrechen der »Straßburger Schädelsammlung« als Gegenstand forensischer Geschichtsschreibung

 

Mit Fritz Bauer (1903–1968), in den letzten Jahren durch Dokumentar- und Spielfilme zur medialen Größe geworden, kann Aufmerksamkeit erregt, Erinnerungspolitik gemacht, auch Eigenwerbung betrieben werden. Straßen, Plätze und Schulen werden nach dem Justizjuristen, Rechtspolitiker und Aufklärer benannt, Bauer-Preise ausgelobt. Auch in Untertiteln einiger Bücher kommt Bauer heute vor. Selbst der Autor dieser Buchbesprechung ist zu diesen Beispielen zu zählen.[1] Augenscheinlich braucht Deutschland in postheroischen Zeiten verehrungswürdige Vergangenheitshelden. In Sachen NS-Vergangenheit ist Bauer zur bewundernswerten bundesrepublikanischen Ikone geworden, gerade so, als ob nicht in weiteren Bundesländern durch aufklärungswillige Staatsanwaltschaften bedeutende Komplexverfahren vorbereitet worden wären. Bauers Haupttätigkeitsfeld indessen, die von ihm in zahlreichen Veröffentlichungen geforderte Reform des Straf- und Strafprozessrechts sowie des Strafvollzugs, interessiert heute meist wenig.[2] Der reformeifrige Strafjurist, dem es immer um Gegenwart und Zukunft ging, wird auf den vorgeblich unermüdlichen »Nazi-Jäger« reduziert.

 

Das Verbrechen

Im Juni 1943 reisten die bei der SS-Wissenschaftsgemeinschaft »Das Ahnenerbe« bzw. beim Rasse- und Siedlungshauptamt der SS angestellten Anthropologen Bruno Beger (*1911) und Hans Fleischhacker (*1912) sowie der Präparator Wilhelm Gabel (*1904) nach Auschwitz. Die »Wissenschaftler« hatten den geheimen »Sonderauftrag« Himmlers, »fremdrassische« Häftlinge »anthropologisch« zu erfassen. Ob es bei dem Vorhaben ursprünglich allein um Juden oder auch um sowjetische Kriegsgefangene »inner- bzw. vorderasiatischer« Herkunft ging, ist eine in der Forschung kontrovers diskutierte Frage. Der Plan war, eine »Schädel-« bzw. »Skelettsammlung« aufzubauen. Die Sammlung sollte an der Ende 1941 gegründeten »Reichsuniversität« Straßburg entstehen.

Beger und Fleischhacker vermaßen 115 Häftlinge. Von rund 20 fertigte Gabel Abformungen des Kopfes (Gesichtsmasken) an. 57 Männer und 29 Frauen, allesamt Juden, wurden unter den erfassten 115 Häftlingen ausgewählt und Anfang August 1943 von Auschwitz ins KZ Natzweiler verbracht. In dem im Elsass gelegenen Konzentrationslager führte Beger an den Opfern noch Blutgruppenuntersuchungen durch und machte Röntgenaufnahmen. Nach Abschluss seiner Arbeit ermordete Lagerkommandant Josef Kramer eigenhändig die Frauen und Männer gruppenweise in einer rund 20 Kubikmeter großen Gaskammer (»G-Zelle«). Das für den Mord benötigte Tötungsmittel hatte Wolf-Dietrich Wolff, Persönlicher Referent des Geschäftsführers des »SS-Ahnenerbes«, Wolfram Sievers, von Berlin nach Straßburg gebracht und dem Direktor des Anatomischen Instituts der Reichsuniversität Straßburg, August Hirt, übergeben. Dieser wiederum reichte es an Kramer weiter. Die ermordeten 86 Juden wurden anschließend nach Straßburg transportiert. Dort lagerte Hirt die Leichen im Keller seines Instituts. Einige der Leichname sowie Körperteile fanden die Alliierten im November 1944 im befreiten Straßburg noch vor.

 

Die Straßburger »Schädel«- bzw. »Skelettsammlung«

Ende 1941 wurde im »SS-Ahnenerbe« der »Vorschlag« erörtert, eine Sammlung von »Judenschädeln« zu schaffen. Sievers hielt in seinem Diensttagebuch den mit Beger besprochenen »Vorschlag« fest und führte Hirt und das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt als Kooperationspartner an. Im Februar 1942 leitete der »Ahnenerbe«-Geschäftsführer an Rudolf Brandt (Himmlers Persönlichen Referenten im Persönlichen Stab des Reichsführers-SS) neben einem von Hirt verfassten und unterschriebenen Forschungsbericht als weitere Anlage eine undatierte und nicht unterzeichnete »Denkschrift« weiter. Das 37 Zeilen umfassende Schriftstück betraf die »Sicherstellung der Schädel von jüdisch-bolschewistischen Kommissaren zu wissenschaftlichen Forschungen in der Reichsuniversität Strassburg«.[3] Eingangs wird in der »Denkschrift« festgestellt, dass es von Juden im Gegensatz zu »allen Rassen und Völkern« keine umfangreiche[n] Schädelsammlungen gebe, dass nunmehr aber der »Krieg im Osten […] die Gelegenheit« biete, »diesem Mangel abzuhelfen«. Denn: »In den jüdisch-bolschewistischen Kommissaren, die ein widerliches aber charakteristisches Untermenschentum verkörpern, haben wir die Möglichkeit, ein greifbares wissenschaftliches Dokument zu erwerben, indem wir uns ihre Schädel sichern.« Die Wehrmacht sollte die Gefangenen bereitstellen. Sie seien zu fotografieren und zu vermessen, sodann anschließend zu töten. Der Kopf der Toten sei vom Rumpf zu trennen, wobei er »nicht verletzt werden« dürfe. Die an den »Bestimmungsort«, eben die im Betreff genannte »Reichsuniversität Strassburg«, verschickten Köpfe sollten folgenden Zweck dienen: »An Hand der Lichtbildaufnahmen, der Masse und sonstigen Angaben des Kopfes und schliesslich des Schädels können dort nun die vergleichenden anatomischen Forschungen, die Forschungen über Rassezugehörigkeit, über pathologische Erscheinungen der Schädelform, über Gehirnform und -grösse und über vieles andere mehr beginnen.« Abschließend wird die Straßburger Universität »ihrer Bestimmung und ihrer Aufgabe gemäss« als »die geeignetste Stätte« für die projektierte Schädelsammlung angeführt.[4]

An der Hochschule gab es bereits eine von dem Anatomen Gustav Schwalbe (1844–1916) aufgebaute Sammlung von Schädeln. Im weiteren Schriftverkehr der an dem Verbrechen Beteiligten ist sodann meist von einer Sammlung von Skeletten »Fremdrassiger« die Rede. Beger sollte bereits 1942 seine Reise nach Auschwitz antreten. Eine im Lager ausgebrochene Epidemie verhinderte jedoch das Vorhaben.

Autor Reitzenstein ist der Auffassung, dass Beger, entgegen seinen Einlassungen in dem seit Frühjahr 1960 gegen ihn von der Frankfurter Staatsanwaltschaft geführten Verfahren, allein zu dem Zweck nach Auschwitz gefahren sei, um unter den sowjetischen Kriegsgefangenen des Lagers Menschen »vorder- und innerasiatischer« Herkunft auszusuchen. Erst als er kaum einen »mongolischen Typ« unter den Lagerinsassen gefunden habe und das Unternehmen nicht erfolglos habe abbrechen wollen, habe er als »Alternativprogramm« (S. 234) kurzer Hand und eigenmächtig und um möglicherweise eine »Blamage« (S. 7, 434, 446, 447) zu vermeiden Juden ausgewählt.

Reitzenstein lässt unerörtert, ob Beger nicht Rücksprache zumindest mit seinem Vorgesetzten Sievers hätte halten, mithin die »Freigabe« von Juden anstelle von »Vorder- und Innerasiaten« erbitten müssen. An Juden, wie der Autor wiederholt hervorhebt, sei weder Beger noch Hirt gelegen gewesen.

Hier stellt sich freilich die Frage, wie ein nicht entscheidungsbefugter SS-Angehöriger wie Beger ohne Unterrichtung seiner vorgesetzten Stelle und ohne deren Zustimmung, zumal in klarer Abweichung von Himmler »Sonderauftrag«, einfach Juden auswählen konnte. Selbst im NS-Unrechtsstaat und im rechtsfreien Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz konnten vergleichsweise niedere Chargen der SS nicht nach Gutdünken handeln. Für Reitzenstein stellt sich die Sache ganz simpel dar: »In Ermangelung der intendierten Opfergruppe in Auschwitz«, das heißt: »Inner- und Vorderasiaten« unter den sowjetischen Kriegsgefangenen, »wechselte Beger diese spontan und möglicherweise irrational.« (S. 453. So problemlos stellt sich dem Autor das Befehls-Gehorsams-Verhältnis in der SS dar.

 

August Hirt oder Bruno Beger?

In der Forschung ist strittig, von wem der von Sievers in seinem Diensttagebuch im Dezember 1941 festgehaltene Vorschlag und die an Brandt im Februar 1942 geschickte »Denkschrift« stammen. Die bisherige Forschung sieht meist in Hirt den Hauptakteur. Reitzenstein hingegen will in seinem Buch den Nachweis erbringen, Vorschlag und »Denkschrift« seien Beger zuzuschreiben.

 

Die Geschichte des Beger-Verfahrens (1960–1971)

Wie oben bereits erwähnt, ermittelte die Frankfurter Staatsanwaltschaft seit 1960 gegen Beger. Das Beger-Verfahren gilt es an dieser Stelle genau nachzuzeichnen, weil Autor Reitzenstein in seinem Buch das Verfahren oftmals unzutreffend darstellt.

 

Das Vorverfahren (1960–1968)

Das von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main im Sommer 1959 eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Auschwitz-Personal (4 Js 444/59)[5] brachte es mit sich, dass Bruno Beger als Beschuldigter geführt wurde. In der ersten, auf den 18. Januar 1960 datierten, 599 Namen umfassende Beschuldigtenliste wird unter Nr. 36 aufgeführt:

»Beger, Dr. med. Bruno, geb. 17.4.1911 Lagerarzt in Auschwitz«.[6]

Bereits wenige Wochen nach der Fertigstellung der Liste hatte sich das Wissen der beiden von Fritz Bauer beauftragten Staatsanwälte Joachim Kügler (1926–2012) und Georg Friedrich Vogel (1926–2007) verbessert. Die Staatsanwaltschaft beantragte mit Schreiben vom 18. März 1960 beim Amtsgericht Frankfurt am Main einen Haftbefehl gegen Beger und weitere Beschuldigte. Der in Frankfurt am Main lebende Beger war dringend verdächtig »in Auschwitz im Jahr 1943 […] Menschen getötet zu haben«.[7] Nach den Erkenntnissen der Strafverfolger hatte er

»als SS-Hauptscharführer und Mitglied der Dienststelle ›Ahnenerbe‹ (Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung) in dem Konzentrationslager Auschwitz insgesamt 115 Personen, davon 79 Juden, 2 Polen, 4 Innerasiaten und 30 Jüdinnen, unter den Häftlingen herausgesucht, damit diese von dem Konzentrationslager Auschwitz nach dem Konzentrationslager Natzweiler verbracht, dort getötet und alsdann in die Anatomie der Universität Straßburg überführt werden konnten, wo der ehemalige SS-Hauptsturmführer Professor Dr. Hirth [sic!] die Häftlingsleichen zum Zwecke des Aufbaus einer Sammlung von Skeletten verwerten wollte.«[8]

Das Amtsgericht Frankfurt am Main erließ am 30. März 1960 Haftbefehl, der am Tag darauf vollstreckt wurde.[9] In seiner ersten Einlassung beteuerte Beger, er habe den als »Geheime Reichssache« deklarierten »Sonderauftrag« gehabt, »anthropologische Untersuchungen an Juden vorzunehmen« und »möglichst viele Spielarten der Judenheit festzustellen«. Außerhalb seines Auftrags sei er allerdings auch wegen seiner sonstigen »wissenschaftlichen Tätigkeit natürlich an Innerasiaten interessiert« gewesen. Erst später will er erfahren haben, dass die von ihm ausgewählten und untersuchten Häftlinge für eine »Skelett-Sammlung vorgesehen waren«.[10] In seiner amtsrichterlichen Vernehmung vom 1. April 1960 versicherte der Untersuchungshäftling Beger, dass er »bei Erteilung des Auftrages zur Untersuchung der Juden nicht gewusst habe, welches Schicksal« die Häftlinge erwarte.[11] Auch in seinem Brief vom 4. April 1960 an den das Ermittlungsverfahren führenden Staatsanwalt Kügler, legte er dar, er habe »im KZ Auschwitz eine größere Anzahl Juden anthropometrisch zu bearbeiten«[12] gehabt. Nicht anders ließ sich der Beschuldigte in seinen Vernehmungen durch den Untersuchungsrichter Heinz Düx (1924–2017) im Rahmen der gerichtlichen Voruntersuchung aus: »Der Auftrag ging dahin, eine anthropologische Untersuchung an jüdischen Häftlingen in Auschwitz durchzuführen«.[13] Und im April 1963: »Soweit ich mich erinnere, hat Prof. Hirt nur von einer anthropologischen Untersuchung von Juden gesprochen. Hirt wollte, daß an diesen Juden anthropologische Vermessungen vorgenommen werden.«[14]

Beger war für die beiden, das Auschwitz-Verfahren führenden Staatsanwälte ein Beschuldigter unter vielen und zudem etwas aus dem Rahmen gefallen. Er gehörte nicht zum SS-Personal des Lagers Auschwitz, konnte deshalb auch schwerlich in den geplanten Prozess gegen die SS-Besatzung des Konzentrations- und Vernichtungslagers einbezogen werden.

Als die Frankfurter Staatsanwaltschaft nach rund zwei Jahren wesentliche Ermittlungsergebnisse vorliegen hatte, stellte sie am 12. Juli 1961 bezüglich von 24 Beschuldigten den von der Strafprozessordnung vorgeschriebenen Antrag auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung beim Landgericht Frankfurt am Main. Mit Verfügung vom 19. Juli 1961[15] trennte sie sodann das Verfahren gegen Beger von ihrem Mitte 1959 eingeleiteten Ermittlungsverfahren – das zum 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, der »Strafsache gegen Mulka u.a.« (1963–1965) führte – ab. Gleichzeitig leitete sie eine neue Js-Sache unter dem Aktenzeichen 4 Js 1031/61 gegen nunmehr 839 Beschuldigte ein, zu denen auch Bruno Beger zählte.

Da das seit Frühjahr 1960 laufende Verfahren gegen Beger bereits ausreichende Ermittlungsergebnisse vorzuweisen hatte, stellte die Strafverfolgungsbehörde im August 1961 im Fall Beger Antrag auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung beim Landgericht Frankfurt am Main.[16] Der beauftragte Untersuchungsrichter Düx eröffnete sie drei Wochen später.[17]

Die Sachbearbeiter Kügler und Vogel waren zur Zeit der Abfassung der im April 1963 eingereichten Anklageschrift in der »Strafsache gegen Mulka u.a.« der Auffassung, dass die Idee zur Schädelsammlung auf August Hirt zurückzuführen sei. In ihrer Anklageschrift heißt es im historischen Teil in einem Abschnitt über die »jüdische Skelettsammlung«:

»Der bei der ehemaligen Reichsuniversität Straßburg als Anatom tätig gewesene Prof. Dr. med. Hirth [sic] entwickelte in seiner Eigenschaft als Mitglied des sogenannten ›Ahnenerbes‹, einer Art Privatuniversität Himmlers, den Gedanken, eine Sammlung von Skeletten von Juden in der Universität Straßburg anzulegen, damit man nach Ausrottung der jüdischen Rasse deren angeblich vorhandene typische anthropologische Merkmale studieren könnte. Himmler hieß den Plan gut. Im Juni 1943 fuhr dann der ebenfalls dem ›Ahnenerbe‹ angehörende SS-Hauptsturmführer Dr. phil. Bruno Beger[18] mit einem Mitarbeiterstab nach Auschwitz und suchte dort 115 Häftlinge, davon 79 Juden, 2 Polen, 4 Innerasiaten und 30 Jüdinnen, unter anthropologischen Gesichtspunkten aus. Diese Häftlinge wurden vermessen, zum Teil wurden noch in Auschwitz Gesichtsmasken von ihnen abgenommen. Am 30.7.1943 wurden diese Häftlinge aus dem Konzentrationslager Auschwitz in das bei Straßburg gelegene Konzentrationslager Natzweiler gebracht. Dort wurden sie unter Aufsicht des Lagerkommandanten [Josef, W.R.] Kramer, der später Kommandant des Lagers Auschwitz-Birkenau wurde, durch Zuführung von Gas ermordet. Die Leichen von etwa 80 Häftlingen wurden dann in die Anatomie der Reichsuniversität Straßburg überführt. Die Herstellung der Skelette verzögerte sich jedoch bis Kriegsende. Die Häftlingsleichen wurden von der einrückenden amerikanischen Armee gefunden. Dieser Sachverhalt ist im einzelnen durch die erhalten gebliebenen Dokumente belegbar. Auf das in diesem Zusammenhang gegen Dr. Beger anhängige Verfahren 4 Js 1013/61[19] Staatsanwaltschaft Frankfurt – in dem zur Zeit die gerichtliche Voruntersuchung läuft – wird Bezug genommen.«[20]

Im Verlauf des Vorverfahrens gerieten zwei weitere Akteure in den Fokus der Justiz. Begers Kollege Hans Fleischhacker und Sievers Persönlicher Referent Wolf-Dietrich Wolff wurden in das Verfahren einbezogen. Gegen die beiden Beschuldigten stellte die Staatsanwaltschaft am 24. Juli 1963 Antrag[21] auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung, die Untersuchungsrichter Düx nach wenigen Wochen eröffnete.[22] Bereits im November 1963 hielt Düx den Zweck der Voruntersuchung gegen Fleischhacker und Wolff erreicht.[23] Förmlich schloss er sie mit Beschluss vom 17. Dezember 1963.[24] Gleichzeitig schloss er die Voruntersuchung gegen Beger.[25] Bereits am 11. April 1963 hatte Düx die Verfahrensakten im Fall Beger an die Staatsanwaltschaft mit der Feststellung zurückgesandt, der »Zweck der Voruntersuchung« sei erreicht.

Am 20. Dezember 1963 begann im Frankfurter Rathaus der Prozess gegen Mulka u.a. andere, der in die bundesrepublikanische Justizgeschichte als der »Auschwitz-Prozess« einging. Zunächst standen 22 Angeklagte vor Gericht. Im Verlauf der Hauptverhandlung schieden zwei aus Krankheitsgründen aus. Das Urteil vom 19./20. August 1965 erging gegen 20 Angeklagte. 17 wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, drei freigesprochen.

Die starke Beanspruchung durch den Großprozess (183 Verhandlungstage) brachte es mit sich, dass Staatsanwalt Kügler nicht die Zeit fand, die seit der Schließung der gerichtlichen Voruntersuchung im Dezember 1963 anstehende Abfassung der Anklageschrift gegen Beger u.a. in Angriff zu nehmen.

Nach dem im Sommer 1965 verkündeten Urteil im Auschwitz-Prozess wandte sich Kügler mit Schreiben vom 27. August 1965[26] an seinen Behördenleiter Oberstaatsanwalt Dietrich Rahn (1910–1995) und kündigte an, er wolle die allfällige Anklageschrift in Sachen Beger nach der Rückkehr aus seinem Urlaub[27] fertigen. Interessanterweise meinte Kügler in seinem Schreiben, allein Beger und Wolff anklagen zu wollen, während Fleischhacker außer Verfolgung zu setzen sei.

Der Verlauf des Beger-Verfahrens nahm eine gänzlich andere Wendung. Kügler schied Ende 1965 aus dem Justizdienst aus.[28] Sein Kollege Vogel ging an seine Heimatbehörde in Darmstadt zurück. Ein weiterer Vertreter der Anklage im großen Auschwitz-Prozess, Gerhard Wiese (*1928), sah sich gleichfalls außerstande, die Anklageschrift auszuarbeiten. Er vertrat ab Dezember 1965 die Anklage im 2. Auschwitz-Prozess.[29]

Fehlendes geeignetes Personal bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft veranlassten Fritz Bauer im Jahr 1966, das Verfahren an seine Behörde zu ziehen.[30] Die beiden Verfahren gegen Beger (4 Js 1031/61) und gegen Fleischhacker und Wolff (4 Js 804/63) wurden verbunden und Mitte 1966 ein neues Ermittlungsverfahren (Js-Sache) mit dem Aktenzeichen Js 8/66 (GStA) von der Behörde des Generalstaatsanwalts eingeleitet.

OStA a.D. Johannes Warlo (*1927) berichtet, er sei im Frühsommer 1966 von Bauer[31] beauftragt worden, die Anklageschrift auszuarbeiten. Allein auf der Grundlage der Akten (Vernehmungsprotokolle und Urkunden (Dokumente)) erstellte er sie.[32] In einem Schreiben vom 1. September 1966 an das hessische Justizministerium meinte Warlo bereits, die Anklageschrift sei »im Konzept fertiggestellt« und werde »gegenwärtig in der Kanzlei geschrieben«. Sie könne »voraussichtlich in 4 Wochen dem Gericht zugeleitet werden«.[33] Doch ihre Fertigstellung verzögerte sich aus verfahrensrechtlichen, an dieser Stelle nicht darzustellenden Gründen.[34] Auch musste noch die Beglaubigung vieler Urkunden (Dokumente) durch diverse Archive eingeholt werden.

Datiert ist die Anklageschrift letztendlich auf den 8. Mai 1968.[35] Unterzeichnet hat sie Fritz Bauer. Angeklagt waren neben Beger und Wolff auch Fleischhacker.

Mit der Einreichung der Anklageschrift beim Landgericht Frankfurt am Main übertrug Bauers Behörde »die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft« der ihm nachgeordneten landgerichtlichen Anklagebehörde.[36] Warlo meinte im Interview, es sei schon 1966 entschieden gewesen, dass die Anklage von der Staatsanwaltschaft beim LG Frankfurt am Main und nicht von Bauers Behörde vertreten werde.[37]

 

Warlos Anklageschrift vom 8. Mai 1968

Staatsanwalt Johannes Warlo gelangte bei seiner Auswertung der Beweismittel zu der Erkenntnis, dass Beger der Autor der oben erwähnten »Denkschrift« über die »Sicherstellung der Schädel von jüdisch-bolschewistischen Kommissaren« sei. Er erachtete es auch als erwiesen, dass der Angeschuldigte Beger von Beginn des Unternehmens »Schädelsammlung« an Kenntnis von dem »Tötungsplan« hatte. In seiner rechtlichen Würdigung qualifizierte Warlo die drei Angeklagten als »Mittäter«.[38] »In Kenntnis des Zieles und der einzelnen Tatumstände des Planes« hätten sie »bewusst und wesentlich die Tötungen gefördert«. Beger und Fleischhacker hätten »die Opfer nach eigenem Gutdünken ausgewählt und die Auswahl der Opfer durch anthropologische Messungen wissenschaftlich untermauert«. Dabei seien sie »in der Auswahl der Opfer völlig frei« gewesen. Zu Beger stellte der Staatsanwalt noch fest, er habe »darüber hinaus als Allein- oder Miturheber des gesamten Projekts ein erhebliches Eigeninteresse bekundet«.[39]

 

Das Zwischenverfahren (1968–1970)

Die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens verlief aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörde keineswegs glatt. Das Landgericht Frankfurt am Main eröffnete zwar mit Beschluss vom 16. Oktober 1969[40] das Hauptverfahren gegen Beger und Wolff wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord, setzte aber Fleischhacker außer Verfolgung.[41] Die 3. Strafkammer des Landgerichts war der Auffassung, die Einlassung des Angeklagten Fleischhacker, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass die »untersuchten Häftlinge zur Anlegung einer Schädel- bzw. Skelettsammlung getötet werden sollten«, sei »auf Grund der durchgeführten Ermittlungen nicht hinreichend zu widerlegen«.[42] Auf die Beschwerde[43] der Staatsanwaltschaft, der der Generalstaatsanwalt[44] beitrat, hob das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 26. Januar 1970 den LG-Beschluss auf und eröffnete das Hauptverfahren auch gegen Fleischhacker.[45] Ebenso wie das Landgericht im Fall Beger und Wolff sah das Oberlandesgericht bei Fleischhacker auch nur Beihilfe und nicht wie die Anklage Mittäterschaft als gegeben an.[46] Im Fall Beger hob die Eröffnungskammer des Landgerichts im Gegensatz zu Warlos Anklageschrift hervor, gegen Beger bestehe »kein hinreichender Tatverdacht an der Urheberschaft«[47] des Schädelsammlung-Vorhabens. Sie qualifizierte ihn deshalb nur als Gehilfen und nicht als Mittäter

Fleischhackers Anwälte machten in Karlsruhe noch den Versuch, den Prozess gegen ihren Mandanten zu vermeiden. Ihre Verfassungsbeschwerde vom 4. September 1970[48] wegen vorgeblich nicht ordnungsgemäßer Besetzung des Senats, der den Beschluss vom 26. Januar 1970 gefasst hatte, wurde aber vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.[49]

 

Das Urteil von 1971

Erst im Oktober 1970, Fritz Bauer war bereits mehr als zwei Jahre tot, begann der Prozess gegen die drei Angeklagten (4 Ks 1/70). Die Anklage wurde, wie bereits dargelegt, nicht von der Behörde des Generalstaatsanwalts, sondern von der landgerichtlichen Staatsanwaltschaft vertreten. Bei den Anklagevertretern handelte sich um die Staatsanwälte Gerhard Wiese[50] und Reinhard Roth.

Am 3. März 1971 trennte das Gericht[51] das Verfahren gegen Fleischhacker ab und sprach ihn zwei Tage darauf frei.[52] Die Anklagevertretung legte keine Rechtsmittel ein.[53] Einen Monat später, mit Urteil vom 6. April 1971 (nach 31 Verhandlungstagen), wurde Beger wegen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord an 86 Menschen zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Verfahren gegen Wolff stellte das Gericht ein. Seine Taten waren nach dem 1968 novellierten § 50 Abs. 2 Strafgesetzbuch verjährt.[54]

Nach Auffassung des Gerichts hatte Beger einzig wegen seiner Tätigkeit im August 1943 in Natzweiler Mordbeihilfe geleistet. Als er im KZ die Blutgruppen der 86 Häftlinge bestimmte und ihre Köpfe röntgte, habe er gewusst, dass die Menschen getötet werden sollten. Zur Zeit der Auswahl und nachfolgenden »Vermessung« der Häftlinge in Auschwitz sei ihm ein Wissen um den Tötungsplan zweifelsfrei nicht nachzuweisen. Nicht feststellen konnte das Gericht u.a., ob Beger »ein eigenes Interesse an der Anlegung einer Skelettsammlung jüdischer Menschen hatte«.[55] Für die »Ansicht der Anklagebehörde«, Beger »sei zumindest Miturheber des Gesamtplanes gewesen«, bestand für das Gericht »kein Anhaltspunkt«. Kurz: »Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ist nicht ersichtlich, daß er bei der Planung überhaupt aktiv mitgewirkt hat.«[56] Gegen das Beger-Urteil legte neben der Verteidigung[57] auch die Staatsanwaltschaft Revision[58] ein. Sie nahm sie aber mit Schriftsatz vom 26. Mai 1972[59] zurück.

 

Der »Ankläger« Reitzenstein

Das Landgericht Frankfurt am Main hat in seinem Prozess gegen Beger, Fleischhacker und Wolff nach Ansicht des Autors Reitzenstein Fritz Bauers »letzten Fall« nicht gelöst. Ebenso wenig wie die überwiegende Literatur zur »Straßburger Skelett«- bzw. »Schädelsammlung« habe das Schwurgericht in Beger den Initiator und Exekutoren des Verbrechens sehen wollen.

Durch »forensische Geschichtsschreibung« (S. VIII), eine »Kombination aus Rechtswissenschaften, Rechtsmedizin, Geschichtswissenschaft und weiteren Disziplinen« (ebd.), durch »juristisch klare Sachaufklärung« (S. 16), will Reitzenstein Bauers vorgeblich »letzten Fall« aufklären und abschließen (S. VIII), mithin lösen. Der Autor versteht sein Buch folglich »als Erhärtung des Verdachts, der Fritz Bauer bei seinem letzten Fall antrieb«.[60] Sein Werk »ist damit – in buchhafter Form – auch eine Anklageschrift«, sie ist nach dem Selbstverständnis des forensischen Historikers »Ausgangspunkt eines fiktiven Verfahrens, das eine Superrevisionsinstanz mit der Neubeurteilung des Urteils befasst, welches das Schwurgericht Frankfurt am Main gegen Bruno Beger verhängt hat«. Die Leserinnen und Leser des Buches »besetzen« Reitzenstein zufolge »in diesem Verfahren die Richterbank der Superrevisionsinstanz«. »Die Anklage«, soll heißen: Reitzenstein in selbsternannter Nachfolge Bauers, »wird ihre Fakten vorlegen und ist zuversichtlich, das Gericht«, sprich: das Lesepublikum, »bezüglich Tathergang und Schuld der Angeklagten überzeugen zu können. Dazu wird sie, dazu wird das Buch Fakten darlegen« (alle Zitate: S. IX).

Der Fall Reitzenstein ist interessant und überaus speziell. Gegen das Beger-Urteil vom 6. April 1971 legten, wie bereits oben erwähnt, Anklagevertretung und Verteidigung Revision ein. Im Mai 1972 zog die Staatsanwaltschaft sie jedoch zurück. Die Verteidigung hatte in Karlsruhe insofern Erfolg, als der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. März 1973 die Sache an das Schwurgericht »zur Nachholung der Entscheidung über eine eventuelle Anrechnung der« von Beger erlittenen »Internierungshaft sowie zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels«[61] zurückverwies. Das Landgericht Frankfurt am Main hat sodann am 24. Oktober 1973 für Recht erkannt, dass Beger neben seiner rund viermonatigen Untersuchungshaft im Jahr 1960 auch seine Internierungshaft (Mai 1946/Februar 1948) anzurechnen sei.[62] Der »wegen Beihilfe zum gemeinschaftlich begangenen Mord an 86 Menschen«[63] zu drei Jahren Freiheitstrafe musste nach Rechtskraft des Urteils keine Strafhaft mehr antreten. Die Reststrafe wurde ihm 1977 erlassen.[64]

In seinem Buch führt Reitzenstein als Vertreter der Anklage gleichsam eine fiktive Neuverhandlung gegen Beger durch. Das rechtskräftige Urteil gegen den 2009 verstorbenen Angeklagten ist um der Sache willen kurzer Hand gleichsam vom Autor aufgehoben worden. Die geneigte Leserschaft vermag sodann auf der Basis der von Reitzenstein vorgelegten, »Tatsachen« bzw. »Fakten« präsentierenden Anklageschrift, das Urteil des Frankfurter Tatgerichts von 1971 zu revidieren. Ein fürwahr speziell zu nennendes Verfahren: ohne präsenten Angeklagten, ohne präsente Zeugen und ohne Verteidigung. Grundlage seiner »Anklageschrift« (S. IX), seine »Beweismittel«, sind dem Autor die Dokumente, die er durch umfangreiche Archivstudien zusammengetragen hat. Reitzenstein entnimmt ihnen mit auffallender epistemologischer Naivität[65] Tatsachen, die nach der Überzeugung des Autors Beger zweifelsfrei als Täter überführen.

 

Reitzensteins Anklageschrift von 2018

Bei der Quelle Anklageschrift von 1968 ist Reitzenstein ein nicht geringer Fehler unterlaufen. Er datiert sie auf den 8. Mai 1965, statt auf den 8. Mai 1968. Wie eine Anklageschrift mit dem Aktenzeichen Js 8/66 bereits ein Jahr davor eingereicht werden konnte und warum das Zwischenverfahren (von der Vorlage der Anklageschrift bei LG Frankfurt am Main über die Eröffnung des Hauptverfahrens (Eröffnungsbeschluss) bis zum Beginn der Hauptverhandlung) mehr als fünf Jahre (1965–1970) gedauert haben soll, hat sich der Autor beim Studium der Verfahrensakten und bei der Abfassung seiner »Anklageschrift« offenbar nicht gefragt. Die Datierung auf das Jahr 1965 ist kein Versehen. Explizit heißt es bei Reitzenstein im Vorwort: »Nach umfangreichen Vorermittlungen unterzeichnete Bauer persönlich eine Anklageschrift gegen Bruno Beger und weitere Tatbeteiligte – seine wohl letzte Anklage gegen einen NS-Täter. Diese datiert, möglicherweise zufällig, auf den 8.5.1965, also genau 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa.« (S. VII)

Den Verlauf des Beger-Verfahrens von 1960 bis 1971, als Fritz Bauers »letzter Fall« apostrophiert, hat Reitzenstein nicht rekonstruiert. Fortwährend schreibt er vom »Beger-Prozess«, wenn das acht Jahre dauernde Vorverfahren (1960–1968: staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren und gerichtliche Voruntersuchung) gemeint ist. Reitzenstein meint überdies, durch Michael H. Kater sei »der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer auf den Fall aufmerksam« (S. VII) gemacht worden. Die Möglichkeit ist nicht auszuschließen, sofern Kater, der seine Dissertation über das »Ahnenerbe« »Februar 1966«[66] fertiggestellt und an der Universität Heidelberg eingereicht und 1974 als Buch veröffentlicht hat, sich bereits im Jahr 1960 an Bauer wandte. Einen Beleg liefert der Autor freilich nicht. In seinem Quellenverzeichnis führt Kater »Gedächtnisprotokolle« seiner »Unterredungen« sowie seine Korrespondenzpartner detailliert an. Bauer kommt nicht vor. Ein Schreiben Katers an Bauer vom 5. Januar 1968 liest sich als erste Kontaktaufnahme. Kater weist den hessischen Generalstaatsanwalt auf seine Dissertation von 1966 hin und meint, falls Bauer »in dieser Angelegenheit nicht direkt zustaendig« sei, seinen Brief an den »federfuehrenden Staatsanwalt […] weiterzuleiten«.[67] Bauers Antwort vom 26. Februar 1968 enthält gleichfalls keinen Hinweis auf früher bereits stattgefundene Kontakte.[68]

Unter den verwendeten Beweismitteln führt Warlos Anklageschrift von 1968 im Unterkapitel »Literatur« nur drei Bücher auf: Eugen Kogons Der SS-Staat, Alexander Mitscherlichs und Fred Mielkes Medizin ohne Menschlichkeit und William Shirers Aufstieg und Fall des Dritten Reichs.[69] Katers Doktorarbeit fehlt. Hätte Kater seit 1960 mit Bauer Kontakt gehabt, hätte er seine Dissertation von 1966 dem hessischen Generalstaatsanwalt wohl zugesandt. Wie nachweislich in anderen Fällen auch würde Bauer die wichtige Arbeit seinem von ihm persönlich beauftragten Staatsanwalt für die Ausarbeitung der Anklageschrift zur Verfügung gestellt haben, zumal der Jurist mit dem Fall Beger, der Geschichte des »Ahnenerbes« und mit Auschwitz bis zur 1966 erfolgten Beauftragung durch Bauer noch gar nicht befasst gewesen war.[70]

 

Warum Auschwitz?

Beger hat von der ersten Vernehmung Ende März 1960 an bis zu seinen letzten Einlassungen vor dem Untersuchungsrichter von Juden gesprochen, die er dem »Sonderauftrag« Himmlers entsprechend zu vermessen hatte. Er konnte sich mithin zu seiner Entlastung auf eine höhere Anordnung berufen, der er interesselos Folge leisten musste. Ganz anders und zu Ungunsten Begers liest sich Reitzensteins Darstellung.

Nach Reitzenstein war es Begers eigentliches Vorhaben, unter den sowjetischen Kriegsgefangenen des Lagers Auschwitz Menschen »vorder- bzw. innerasiatischer« Herkunft zu finden. Beger wollte vorgeblich eine von ihm und auch von Himmler vertretene »Theorie« (S. 347) verifizieren. Dem Tibetologen Beger zufolge hatte es zwei Wanderbewegungen gegeben: Die Einwanderung von »nordischen Menschen« (S. 8) nach Tibet und sodann die Wanderung der »arischen Rasse« von Tibet über den Kaukasus nach Nordeuropa. Begers »Theorie«[71] fasst Reitzenstein folgendermaßen zusammen: »Beger suchte in Tibet nach rassekundlichen Belegen für die Theorie, dass der Ursprung der europäischen Menschen in Tibet liege und Tibet seinerseits von einem Adel regiert wird, der von nordischen Menschen abstamme.« (S. 438)

Reitzensteins Darstellung von Begers Reise im Juni 1943 nach Auschwitz wirft Fragen auf, die im Buch unerörtert bleiben. Anfang März 1942 lebten, als das im Bau befindliche Lager Birkenau mit Häftlingen belegt wurde, von den über 10.000 nach Auschwitz verbrachten sowjetischen Kriegsgefangenen nur noch 945.[72] Am 1. April 1942 waren es noch 352, einen Monat später nurmehr 186. Beim letzten Zählappell am Tag der »Evakuierung« des Lagerkomplexes (17. Januar 1945) waren noch 96 sowjetische Kriegsgefangene am Leben.[73] Größere Transporte von Kriegsgefangenen der Roten Armee nach Auschwitz gab es 1942/43 keine mehr.[74] Der von Sievers in einem Schreiben erwähnte Hinweis Adolf Eichmanns vom Mai 1943, in Auschwitz sei »besonders geeignetes Material« (S. 7, 229 f., 323, 328, 446) für Begers Forschungsvorhaben vorhanden, muss daher unklar bleiben. Kaum anzunehmen, dass der »Juden-Referent« im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) mit den Gegebenheiten in Auschwitz so wenig vertraut war. Über die »Behandlung« der sowjetischen Kriegsgefangenen seit Herbst/Winter 1941 war Eichmann sicher unterrichtet. Wenig wahrscheinlich ist deshalb, dass er im Frühsommer 1943 der Fehlinformation aufsaß, in Auschwitz sei ein Reservoir an sowjetischen Kriegsgefangenen vorhanden, aus dem Beger »mongolische Typen« hätte heraussuchen können. Warum weder Sievers noch Beger sich bei der Lagerverwaltung von Auschwitz über die Zusammensetzung der Häftlingspopulation erkundigt haben, wenn es ihnen tatsächlich, wie Reitzenstein seiner Leserschaft weismachen will, um die Auswahl von »Mongolen« gegangen wäre, ist unerfindlich. Eine Anfrage beim in Oranienburg residierenden SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt erfolgte auch nicht. Das WVHA, dem das KL Auschwitz unterstand, wäre gewiss eine bessere Quelle als Eichmann gewesen. Dokumente über die »Zugangsgenehmigung zum Konzentrationslager Auschwitz« (S. 309) für die drei Akteure und über die »Freigabe der [ursprünglich vorgesehenen, W.R.] 150 Opfer zum Zwecke der Ermordung« (ebd.) sind nicht überliefert. Schwerlich dürfte im Vorfeld der Auschwitz-Reise der Kommandantur von Auschwitz gegenüber als Zweck des Himmlerschen »Geheimen Sonderauftrags« die Suche und Auswahl von »mongolischen Typen« genannt worden sein. Höß hätte das Ersuchen wegen fehlender »Objekte« negativ bescheiden müssen. Beger und seinen Begleitern wäre eine Auschwitz-Reise erspart geblieben.

Kurz: Wenig einleuchtend ist die Version von Reitzenstein, dass alle mit dem »Auftrag Beger« Befassten über die Gegebenheiten in Auschwitz so schlecht informiert waren. Die Annahme liegt deshalb nahe, dass es beim »Auftrag Beger« bzw. beim »Sonderauftrag« Himmlers um jüdische Häftlinge und nicht um Menschen »vorder- und innerasiatischer« Herkunft ging.

Reitzenstein erörtert gleichfalls nicht, dass im Oktober 1942 die jüdischen Häftlinge der auf dem Gebiet des Deutschen Reiches gelegenen Konzentrationslager nach Auschwitz verbracht worden sind. Die KZs auf dem Reichsgebiet sollten nach Himmlers Befehl vom 5. Oktober 1942 »judenfrei« sein. Der von Reitzenstein als gewichtig erachtete Hinweis von Präparator Wilhelm Gabel in einer im Juli 1960 durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Vernehmung, man hätte, wäre es um Juden gegangen, doch »viel einfacher und weniger umständlich«[75] (S. 12, 318, 423, 432) jüdische Häftlinge im KZ Dachau finden können, ist deshalb ins rechte Licht zu rücken. Juden in großer Zahl waren seit dem Spätherbst 1942 nur noch in Auschwitz zu finden. Reitzenstein übersieht dieses Faktum und bewertet Gabels Hinweis sogar in seiner Kritik des Urteils vom 6. April 1971 für stichhaltig. Wäre es Beger, so seine wiederholte Darstellung, wirklich um Juden und nicht nach Reitzensteins Version (wenn auch vergeblich) um »Vorder- und Innerasiaten« (S. 11) gegangen, hätte er nicht ins weit entfernte Auschwitz, sondern in ein nahegelegenes Konzentrationslager reisen können. Dieses Argument ist für den Sommer 1943 wenig überzeugend.

Auch mit den in den 1960er Jahren durchgeführten NS-Verfahren ist der Autor schlecht vertraut. So schreibt er vom »seit 1965 geführten Prozess gegen Bruno Beger« (S. 103), obgleich die von ihm ausgewerteten Verfahrensakten doch zeigen, dass das Ermittlungsverfahren bereits 1960 eingeleitet worden ist und der Beger-Prozess, also die öffentliche Hauptverhandlung, 1970/71 stattfand. Am Ende seines Buches meint er sodann recht unverständlich, im Jahr 1964 sei noch kein Ermittlungsverfahren gegen Beger (S. 446) eingeleitet gewesen. Auch weiß Reitzenstein nicht zwischen staatsanwaltschaftlichem Ermittlungsverfahren und gerichtlicher Voruntersuchung zu unterscheiden. Geht es um eine Vernehmung durch den Untersuchungsrichter Düx, schreibt er vom durchgeführten Ermittlungsverfahren (S. 252, 254, 261, 292). Wenig angemessen ist auch, die Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen im Rahmen des Vorverfahrens, seien es staatsanwaltschaftliche oder richterliche, in den Quellenangaben meist als »Aussage« anzuführen. Für die sachkundige Leserschaft seines Buches, zumal sie nach des Autors Intention über Beger zu Gericht sitzen soll, ist durchaus wichtig, von wem und zu welchem Zeitpunkt im Rahmen des Vorverfahrens eine Vernehmung durchgeführt wurde. Richterliche Vernehmungen in der Endphase eines Vorverfahrens sind naheliegender Weise substanzieller als z. B. erste staatsanwaltschaftliche zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens.

Unklar bleibt auch Reitzensteins Verständnis juristischer Sachverhalte. So schreibt er: »Da im Beger-Prozess aufgrund fehlender Belege nicht mit absoluter Sicherheit bewiesen werden konnte, dass er Kenntnis von der Ermordungsabsicht bezüglich der nach Natzweiler disponierten Opfer hatte, konnte Beger nur Beihilfe zum Mord nachgewiesen werden.« (S. 406, siehe auch S. 436) Dass Beger vom Gericht als Gehilfe und nicht als Mittäter qualifiziert wurde, hat mit der Frage, ab wann er Kenntnis von der Tötungsabsicht hatte, nichts zu tun. Beger hatte nach Auffassung des erkennenden Gerichts ein als »Sonderauftrag« Himmlers bezeichnetes Vorhaben durchzuführen. Er handelte mithin im Auftrag eines Vorgesetzten und konnte nach der herrschenden Rechtsprechung (subjektive Teilnahmetheorie) als Mittäter nur dann qualifiziert werden, wenn er sich die angeordnete Tat zu eigen gemacht, wenn er sie mit Eigeninteresse und Eifer durchgeführt hat. Diese »innere Einstellung« des Angeklagten Beger zur Tat konnte das Gericht bei der Beurteilung der »inneren Tatseite« mit der erforderlichen Sicherheit nicht feststellen. Für das Gericht hatte Beger zumindest zum Zeitpunkt seiner Tätigkeit in Natzweiler Kenntnis von der Tötungsabsicht. Er leistete im Wissen um den Tötungsplan seinen Gehilfenbeitrag, förderte und unterstützte somit nach Auffassung des Tatgerichts wissentlich und willentlich die Haupttat. Als Gehilfe wurde er qualifiziert, weil er für das Gericht nicht der Taturheber war, die Tat nicht als eigene wollte.

 

Reitzenstein und die Forschung

Dass neuere Forschung in der Regel ältere revidiert, ist eine Binsenweisheit. Reitzenstein wird in seinem Buch nicht müde, die vorgeblichen Defizite und Falschdarstellungen der bisherigen Forschungsliteratur zum Fall der »Straßburger Schädelsammlung« zu benennen. Fraglos ist seine Quellenbasis beeindruckend, unstrittig hat er Entdeckungen gemacht. Warum er aber fortwährend meint, Historikern und anderen wenig schmeichelhafte Motive zuschreiben zu müssen, ist unerfindlich. So meint er, »unzählige Autoren« seien Beger »auf den Leim« (S. 427) gekrochen. Die Autoren »kolportierten das von [Beger, W.R.] selbst geschaffene Bild des freundlichen Tibetologen, der offenes Interesse an fremden Kulturen und Völkern zeigte, sich als Freund des Dalai Lama inszenierte und der nur einmal als unbedeutender Befehlsempfänger nach Auschwitz geschickt worden sei, ohne den Hintergrund seines dortigen Aufenthalts zu durchschauen« (S. 427). Unerfindlich ist überdies, dass er offenbar meint, »bei der Aufklärung von NS-Unrecht« ginge es oftmals »um Historiker und ihre Netzwerke« und nicht wie bei ihm »um die Opfer und deren Anspruch auf eine sachliche, juristisch belastbare Aufklärung« (S. IX). Manchem Autor und mancher Autorin könnte es durchaus als ehrenrührig erscheinen, wenn Reitzenstein mit Blick auf die von ihm kritisierte Literatur forsch schreibt: »Es ist aber auch unbestreitbar und bis in die jüngste Vergangenheit zu beobachten, dass Kontroversen den Absatz von Büchern zur Freude der Verleger fördern.« (S. 427) Und sodann: »Krochen all diese Autoren – von [Alexander] Mitscherlich [Das Diktat der Menschenverachtung, 1947] bis [Hans-Joachim] Lang [Die Namen der Nummern, 2004] – Beger wirklich auf den Leim? Oder sollten einige ihre Bücher nur deshalb verfasst haben, um ein kontroverses Buch entstehen zu lassen, welches auf diese Weise Umsatz und Erfolg sichern würde.« (S. 428) Scheinbar zutiefst empört meint Reitzenstein, dabei jedweder Insinuation freien Lauf lassend: »So viele Bücher, so viele Vorträge, so viel Geld« (S. 437). Meint Reitzenstein die von ihm oftmals gescholtenen Autoren von Werken über die »Straßburger Schädelsammlung«? Haben sie durch eine Beger schonende, kontroverse Darstellung einzig einen Reibach machen wollen?

Sich selbst betrachtet Reitzenstein als untadeligen und aufrechten Autor, meint er doch betonen zu müssen, er habe sein Buch »nicht geschrieben, um zu gefallen. Es wurde ebenso wenig geschrieben, um sich in bestehende geschichtswissenschaftliche Netzwerke, Denkschulen oder Kontroversen einzuordnen. Dieses Buch wurde geschrieben, um Zeugnis abzulegen.« (S. IX)

Reitzensteins kritische Haltung gegenüber der etablierten, meist universitären und gut bestallten Geschichtsschreibung sowie sein durchaus unkonventioneller Ansatz sind selbstverständlich nur zu begrüßen. Freilich fragt sich der Rezensent, wer jemals ein wissenschaftliches Werk verfasst hat »um zu gefallen«. Steht es so schlecht um das Ethos der Geschichtswissenschaft hierzulande?

Der Autor moniert weiter die fehlende »Untersuchungstiefe« (S. 327) der vorliegenden Forschungsliteratur. Selbst lässt er aber Fragen unberücksichtigt, die sich, wie oben bereits gezeigt, aus der Geschichte von Auschwitz und der NS-Konzentrationslager ergeben. Überhaupt ist er mit Auschwitz wenig vertraut.[76] So schreibt er, Rudolf Höß sei »stellvertretender Lagerkommandant« (S. 327) gewesen, Zyklon B habe man »in handlichen Kartuschen und Ampullen« (S. 360) transportiert. Auch scheint er zu meinen, in der Regel und nicht als seltene Ausnahme sei »nach dem Versterben eines Häftlings dessen Häftlingsnummer erneut vergeben« (S. 407) worden. Eine weitere Formulierung Reitzensteins lässt auf unzureichende Kenntnis schließen. Wie dargelegt, wurden Anfang August 1943 von den 115 Menschen 86 jüdische Häftlinge ins KZ Natzweiler transportiert. Was mit den restlichen 29 Häftlingen geschah, ist ungeklärt. Drei sollen kurz nach ihrer Auswahl verstorben sein. Reitzenstein mutmaßt, dass sie bereits in Auschwitz ermordet und »die Köpfe nach einer Grobentfleischung zu Beger nach Mittersill[77] gesendet wurden« (S. 337). Sodann meint er, dass die 26 verbliebenen Opfer »gruppenweise in Auschwitz vergast« (S. 447) worden seien. Die Gaskammern in Birkenau, in den Monaten März bis Juni 1943 »in Betrieb« genommen, waren so groß, dass eine gruppenweise Tötung wie in der kleinen »Gas-Zelle« in Natzweiler nicht erforderlich war. In der Auschwitz-Forschung ist zudem unstreitig, dass für eine derart kleine Anzahl von Häftlingen keine Gaskammer und kein Zyklon B verwendet worden wäre.

Fraglos mit Fleiß hat Reitzenstein einen umfangreichen Quellenbestand ausgewertet. Seine Forschungsergebnisse werden berücksichtigt werden müssen. Auch sein Bestreben, Begers Anteil an dem Verbrechen anders als die allermeiste Literatur zu gewichten, ist verdienstvoll. Wissenschaft lebt von Revisionen. Doch die für das Buch gewählte Darstellungsform kann nicht überzeugen. Der Autor scheint sich selbst nicht schlüssig zu sein, welche Art von Werk er verfasst hat. Es ist ihm eine »historiographische Chronik« (S. IX), eine »Tatsachenchronik eines Verbrechens und der Vita der Verbrecher« (S. 3) und eine »Anklageschrift« (ebd.) zugleich, er nennt es ein »Kompendium verschiedener chronologischer Ereignisstränge« (S. 18) und keine »stringente Gesamtdarstellung« (ebd.). An anderer Stelle spricht er jedoch davon, »eine geschlossene Darstellung zum Plan der Straßburger Schädelsammlung« (S. 31) vorgelegt und gar eine »rechtsgeschichtliche Studie« (S. 1), ein »rechtshistorische[s] Buch« (S. 19) verfasst zu haben. Wiederholt nennt er sein Werk auch eine »Studie«. Überdies meint er, das Buch sei geschrieben worden, »um Zeugnis abzulegen« (S. IX). Eine derart variierende Selbsteinschätzung muss verwundern. Recht abwegig ist sodann, wenn der Autor meint hervorheben zu müssen, sein Buch sei »ausdrücklich nicht zur Lektüre durch Kinder und Jugendliche empfohlen« (S. 2).

Durch die gewählte Struktur des Buchs nimmt Reitzenstein unzählige Redundanzen in Kauf. Auch verliert er sich in Details, die mit der Darstellung des Verbrechens wenig zu tun haben. Im Vorwort nennt er sein Buch weiter ein »Gemeinschaftswerk vieler Spezialisten, deren Expertise an den notwendigen Stellen benötigt wurde« (S. VIII). Unstrittig hat sich der Autor in Wissenschaftsgebiete eingearbeitet, die dem Zeithistoriker gemeinhin verschlossen sind. Festzuhalten ist freilich, dass Rechtswissenschaftler den Autor bedauerlicherweise nicht darauf hingewiesen haben, dass landgerichtliche Staatsanwaltschaften in Sachen NS-Verbrechen keine »Vorermittlungen« (S. VII) geführt haben. Allein die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung der nationalsozialistischen Verbrechen (Ludwigsburg) hat, da sie keine Staatsanwaltschaft ist, »Vorermittlungen« durchgeführt. Vom Ausgang des Prozesses gegen Beger u.a. meint er, das Verfahren gegen Fleischhacker sei eingestellt (S. 256, 424) worden. Wenige Zeilen später heißt es jedoch, im Fall Fleischhacker sei Freispruch (S. 258) erfolgt. Ebenso zu Wolff: Zum einen meint der Autor, Wolff sei »noch während des Verfahrens freigesprochen« (S. 246) worden, zum anderen verlautet er, »das Verfahren gegen Wolff« (S. 249) sei aufgrund des von Michael H. Kater erstatteten Gutachtens[78] eingestellt worden.

Reitzenstein neigt überdies zu Superlativismus. Hirt ist ihm einer »der grausigsten Gestalten des an grausigen Gestalten nicht armen NS-Regimes« (S. 16), »einer der bekanntesten Täter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft« (S. 429). Der Mord an den 86 Häftlingen erachtet er als »eines der unmenschlichsten NS-Verbrechen« (S. 28).

 

Fazit

Ist »Fritz Bauers letzter Fall«[79] in Zeiten einer bundesweiten Bauer-Konjunktur schlicht gutem Marketing geschuldet? Mit dem Beger-Verfahren hatte der hessische Generalstaatsanwalt so viel und so wenig zu tun wie mit den vielen anderen NS-Verfahren, die von den neun landgerichtlichen Staatsanwaltschaften Hessens und seiner eigenen Behörde durchgeführt worden sind.[80] Ein Generalstaatsanwalt bearbeitet keine »Fälle«, ermittelt nicht »über Jahre hinweg gegen Bruno Beger […] um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen« (S. 437). Dass Berichte über den Verfahrensstand durch den jeweiligen Behördenleiter über den Generalstaatsanwalt, der die Dienst- und Fachaufsicht über die ihm nachgeordneten Staatsanwaltschaften hat, an das Justizministerium gehen, besagt keineswegs, dass der oberste Strafverfolger in sachlicher Hinsicht intensiv in die einzelnen Verfahren involviert ist. Ebenso wenig ist von Bedeutung, dass eine Anklageschrift die Unterschrift des Behördenleiters trägt. In der Regel unterzeichnen Behördenleiter Anklageschriften. Im Fall des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses und des Verfahrens gegen die beiden Eichmann-Mitarbeiter Hermann Krumey und Otto Hunsche, die maßgeblich an der Deportation der Juden aus Ungarn im Sommer 1944 beteiligt gewesen waren, hat zum Beispiel der Leiter der sogenannten Politischen Abteilung der landgerichtlichen Staatsanwaltschaft, Erster Staatsanwalt Hanns Großmann, die beiden Anklageschriften unterzeichnet. Verfasst hat er sie nicht.

Reitzenstein erbringt mit seinem Buch einen Beitrag zur florierenden Bauer-Hagiographie: »Der legendäre hessische Generalstaatsanwalt und ›Nazi-Jäger‹ Fritz Bauer unterschrieb persönlich die Anklageschrift gegen Bruno Beger als Haupttäter dieser Straftat. Der jüdische Jurist unterstellte August Hirt dabei eine geringere Tatbeteiligung als Beger.« (S. 9) Richtig ist, dass die Anklageschrift vom 8. Mai 1968 die drei Angeklagten als Mittäter qualifizierte. Reitzenstein hingegen sieht allein in Sievers, Hirt und Beger die »Haupttäter« (S. 243), in Fleischhacker, Wolff und anderen hingegen »Personen, die Beihilfe und Unterstützung leisteten« (S. 243). Freilich, auch hier bleibt unklar, ob Reitzenstein in seiner »Anklageschrift« die Begriffe im strafrechtlichen Sinne gebraucht, schreibt er doch an anderer Stelle, es sei »unzweifelhaft, dass Hirt eine wesentliche Beihilfe zu den 86 Morden leistete« (S. 318).

 

»Forensische Geschichtsschreibung«, die »juristisch klare Sachaufklärung« (S. 16) zu leisten beansprucht, müsste gerade hinsichtlich juristischer Sachverhalte präzise sein und über Sachkunde verfügen. Epistemologische Naivität, die unreflektierte Rede von aus den Dokumenten geschöpften Tatsachen, zeitigt überdies keine überzeugenden Resultate. Reitzenstein hat bei der Abfassung seiner »Anklageschrift« nicht bedacht, was Michael Wildt treffend festgestellt hat: »Die Kluft, die Historiker und Staatsanwälte trennt, ist zu groß, als daß der Versuch, sie zu überspringen oder gar zu ignorieren, nicht Schaden an der eigenen Arbeit nehmen würde.« [81]

 

 

Fußnoten:

[1] Werner Renz, Auschwitz vor Gericht. Fritz Bauers Vermächtnis und seine Missachtung, Hamburg: CEP Europäische Verlagsanstalt, 2018. Der Verf. meint freilich, in seinem Buch über die sechs Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963–1981) mit gutem Grund auf Bauer rekurrieren zu können, geht es doch insbesondere um die Darlegung von Bauers Rechtsauffassung, die in den späten Verfahren gegen Demjanjuk, Gröning und Hanning eine Renaissance erlebte. Ebenso ist es gut begründet, im Fall des von Bauer angestrengten Verfahrens gegen die NS-Generalstaatsanwälte und OLG-Präsidenten den hessischen Generalstaatsanwalt hervorzuheben. Siehe Christoph Schneider, Diener des Rechts und der Vernichtung. Das Verfahren gegen die Teilnehmer der Konferenz von 1941 oder: Die Justiz gegen Fritz Bauer, Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2017.

[2] Die Herausgabe seiner Aufsätze, Artikel, Interviews und Vorträge hat das Fritz Bauer Institut für Dezember 2018 angekündigt (Lena Foljanty, David Johst (Hrsg.), Fritz Bauer. Kleine Schriften, 2 Bde, New York, Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2018).

[3] Siehe das Faksimile in Julien Reitzenstein, Das SS-Ahnenerbe und die »Straßburger Schädelsammlung« – Fritz Bauers letzter Fall, Berlin: Duncker und Humblot, 2018, S. 212. Das Dokument, es handelt sich um eine Abschrift aus den Unterlagen des »Ahnenerbes«, weist keinen Gebrauch des Buchstaben »ß« auf, selbst bei Wörtern, bei denen die Schreibung mit »ss« vollkommen ungewöhnlich ist.

[4] Zitiert nach dem Faksimile in Reitzenstein, S. 212.

[5] Zur Vorgeschichte des Auschwitz-Prozesses siehe Werner Renz, »Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess. Völkermord als Strafsache«, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, Jg. 15, H. 2, 2000, S. 11–48 und ders., »Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess. Zwei Vorgeschichten«, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Jg. 50, H. 7, 2002, S. 622–631.

[6] Fritz Bauer Institut (FBI), Sammlung Frankfurter Auschwitz-Prozesse (FAP), Hauptakten (HA), FAP-1/HA-23, Bl. 3745.

[7] FBI, FAP-1/HA-27, Bl. 4672–4681, hier: Bl. 4672.

[8] Ebd. Als Beweismittel verwies die Staatsanwaltschaft auf »Schreiben Reichsführer-SS Persönlicher Stab v. 6.11.1942 an RSHA, Schreiben des SS-Standartenführers Sievers v. 21.6.1943 an RSHA, Telegramm an SS-Hauptsturmführer Prof. Hirth [sic!] vom 30.7.1943. […] Ferner die Ausführungen in dem Buch ›Croix Gammée‹ Seite 858/872« (ebd., Bl. 4673).

[9] Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden (HHStA), Abt. 461, Nr. 34145, Bl. 6. Mit Beschluss vom 8. August 1960 wurde Beger jedoch unter Aufrechterhaltung des Haftbefehls von der weiteren Untersuchungshaft verschont. Urteil vom 6.4.1971, HHStA, Abt. 461, Nr. 34153, Bl. 1579; ebenso in: C. F. Rüter u.a. (Hrsg.), Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1999 (JuNSV), Amsterdam, München, 2005, Bd. XXXV, S. 205. Das Amtsgericht beschloss eine Meldeauflage, die erst 10 Jahre später aufgehoben wurde (Beschluss des LG Frankfurt am Main vom 6.11.1970, HHStA, Abt. 461, Nr. 34151, Bl. 1113).

[10] Staatsanwaltschaftliche Vernehmung vom 31.3.1960, HHStA, Abt. 461, Nr. 34145, Bl. 12–15.

[11] Richterliche Vernehmung vom 1.4.1960, ebd., Bl. 21.

[12] Brief vom 4.4.1960 an StA Joachim Kügler, ebd., Bl. 27.

[13] Richterliche Vernehmung vom 14.12.1961, ebd., Bl. 113.

[14] Richterliche Vernehmung vom 9.4.1963, HHStA, Abt. 461, Nr. 34147, Bl. 477.

[15] HHStA, Abt. 461, Nr. 34145, Bl. I–II. Die Verfügung ist den mit arabischen Ziffern paginierten Akten vorangestellt.

[16] Ebd., Bl. 103–105.

[17] Ebd., Bl. 107–108.

[18] Reitzenstein weist darauf hin, Beger habe einen Dr. nat. und keinen Dr. phil (Reitzenstein, S. 202 f.) erworben.

[19] In einer undatierten Beschuldigtenliste der Frankfurter Staatsanwaltschaft heißt es zu Beger: »Mitglied des ›Ahnenerbes‹ oder des ›Instituts Swen [sic!] Hedin‹. Er hat im Juli 1943 im Stammlager 115 Häftlinge ›anthropologisch bearbeitet‹. Die Häftlinge wurden alsdann in das KZ Natzweiler überführt, dort getötet und in die Anatomie der Universität Straßburg verbracht, wo sie dem Aufbau einer Skelett-Sammlung dienen sollten.« (FBI, FAP-1/HA-30, Bl. 5101)

[20] Raphael Gross, Werner Renz (Hrsg.), Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–1965). Kommentierte Quellenedition. Mit Abhandlungen von Sybille Steinbacher und Devin O. Pendas, mit historischen Anmerkungen von Werner Renz und juristischen Erläuterungen von Johannes Schmidt. Frankfurt am Main, New York: Campus Verlag, 2013, Bd. 1, S. 233.

[21] HHStA, Abt. 461, Nr. 34148, Bl. 225–227.

[22] Beschluss über die Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung vom 19.8.1963, HHStA, Abt. 461, Nr. 34148, Bl. 228–229.

[23] HHStA, Abt. 461, Nr. 34148, Bl. 269.

[24] HHStA, Abt. 461, Nr. 34148, Bl. 273.

[25] HHStA, Abt. 461, Nr. 34147, Bl. 500.

[26] HHStA, Abt. 461, Nr. 34170, Bl. 50–51, ebenso ebd., Nr. 34179, vorgeheftet Bl. 1 d. Handakten.

[27] In den 20 Monaten Prozessdauer hatten die beteiligten Justizjuristen keinen Urlaub nehmen können.

[28] Siehe Bericht vom 24.1.1966 an das Hess. Justizministerium, HHStA, Abt. 461, Nr. 34170, Bl. 58–59.

[29] Zur Geschichte der Frankfurter Auschwitz-Prozesse siehe Renz, Auschwitz vor Gericht, S. 17–144.

[30] Siehe Schreiben der GStA vom 2.6.1966 an StA b. LG FFM, ebd., ohne Foliierung.

[31] Was Bauer motivierte, den Fall Beger mit Nachdruck zu verfolgen, muss offenbleiben. Für Bauer womöglich von Bedeutung war der Umstand, dass sich Beger an den Schriftsteller Rolf Hochhuth mit »Drohbriefen« wandte. Siehe Vermerk von OStA Hanns Großmann (Lt. der polit. Abt. der StA b. LG FFM) vom 24.2.1965. Großmann hatte von Bauer einen Anruf erhalten. Der Generalstaatsanwalt bat um umgehende »Sachstandsmitteilung«, HHStA, Abt. 461, Nr. 34180, Bl. 39. Bauer stand mit Hochhuth in Kontakt und besuchte ihn gelegentlich in Basel, Hochhuths damaliger Wohnort.

[32] Siehe Johannes Warlos Rede anlässlich der Einweihung des »Fritz Bauer Saals« am 17.5.2017 im Landgericht Frankfurt am Main, in: Einsicht 18. Bulletin des Fritz Bauer Instituts (Herbst 2017), S. 59; ebenso abgedruckt in der Broschüre: Der Fritz Bauer Saal im Landgericht Frankfurt am Main. Hrsg.: Landgericht Frankfurt am Main, o.J., ohne Paginierung [2017]. Siehe auch das Interview des Rezensenten mit Warlo vom 18.7.2018 (Archiv des Fritz Bauer Instituts).

[33] Schreiben Warlos vom 1.9.1966 an HJM, HHStA, Abt. 461, Nr. 34170, Bl. 66.

[34] Schreiben Bauers vom 24.10.1966 an HJM, ebd., Bl. 68.

[35] HHStA, Abt. 461, Nr. 34149, Bl. 500–616.

[36] Schreiben Bauers vom 8.5.1968 an HJM, HHStA, Abt. 461, Nr. 34170, Bl. 85.

[37] Siehe Bauers Schreiben vom 8.5.1968 an StA FFM, ebd., Bl. 87–89.

[38] Anklageschrift vom 8.5.1968, HHStA, Abt. 461, Nr. 34149, Bl. 613.

[39] Ebd.

[40] HHStA, Abt. 461, Nr. 34150, Bl. 944.

[41] Ebd., Bl. 945–949.

[42] Ebd., Bl. 946.

[43] Ebd., Bl. 952.

[44] Ebd., Bl. 956–957.

[45] HHStA, Abt. 461, Nr. 34151, Bl. 968–992.

[46] Ebd., Bl. 968.

[47] HHStA, Abt. 461, Nr. 34150, Bl. 944.

[48] HHStA, Abt. 461, Nr. 34151, Bl. 1056–1065.

[49] Beschluss vom 2.10.1970, ebd., Bl. 1069–1071.

[50] Wie oben erwähnt, war Wiese im 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963/65) (zusammen mit seinen Kollegen Hanns Großmann, Georg Friedrich Vogel, Joachim Kügler) und im 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1965/66) (zusammen mit seinem Kollegen Gerhard Zack) Vertreter der Anklage.

[51] Den Vorsitz führte Landgerichtsdirektor Friedrich Wilhelm Kritzinger (*1928). Die beiden Beisitzer waren Landgerichtsrat Christian Demuth (*1926) (Berichterstatter) und Landgerichtsrätin Johanna Dierks (*1934).

[52] Siehe das Urteil in: JuNSV, Bd. XXXV, S. 57–67.

[53] Schreiben Wieses vom 5.3.1971 an HJM, HHStA, Abt. 461, Nr. 34170, Bl. 141.

[54] Siehe das Urteil in: JuNSV, Bd. XXXV, S. 199–255.

[55] HHStA, Abt. 461, Nr. 34153, Bl. 1572 und in: JuNSV, Bd. XXXV, S. 244.

[56] Ebd.

[57] Ebd., Bl. 1599–1625.

[58] Ebd., Bl. 1590 und Bl. 1596.

[59] Ebd., Bl. 1666.

[60] Am Ende seines Buches schreibt Reitzenstein abermals: »Daraus ergibt sich das Anliegen dieses Buches: Fritz Bauers Verdacht, dass Bruno Beger Urheber und prospektiver Nutznießer des Verbrechens der Straßburger Schädelsammlung war, zu erhärten.« (S. 436)

[61] BGH-Beschluss vom 22.3.1973 (2 StR 293/72), in: JuNSV, Bd. XXXV, S. 252.

[62] Urteil des LG Frankfurt am Main vom 24.10.1973 (4 Ks 1/70), in: ebd., S. 253–255.

[63] Urteil vom 6.4.1971, HHStA, Abt. 461, Nr. 34153, Bl. 1488 und in: JuNSV, Bd. XXXV, S. 201.

[64] HHStA, Abt. 461, Nr. 34153, Bl. 1748.

[65] Siehe hierzu Michael Stolleis, »Der Historiker als Richter – der Richter als Historiker«, in: Geschichte vor Gericht. Historiker, Richter und die Suche nach Gerechtigkeit. Hrsg. von Norbert Frei, Dirk van Laak und Michael Stolleis, München: Verlag C. H. Beck, 2000, S. 173–182.

[66] Das »Ahnenerbe«. Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft in der SS. Organisationsgeschichte von 1935 bis 1945. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karl-Universität in Heidelberg, vorgelegt von Michael H. Kater, 1966, S. 572.

[67] Brief Katers an Bauer vom 5.1.1968, HHStA, Abt. 461, Nr. 34180, Bl. 101–101R.

[68] Schreiben Bauers an Kater vom 26.2.1968, ebd., Bl. 103–104. StA Warlo forderte beim Historischen Seminar der Universität Heidelberg mit Schreiben vom 26.2.1968 ein Exemplar von Katers Doktorarbeit an, ebd., Bl. 105. Mit Schreiben vom 31.5.1968 übersandte Warlo eine Kopie der Dissertation dem Vorsitzenden der Eröffnungskammer (HHStA, Abt. 461, Nr. 34154, Bl. 653–655).

[69] Anklageschrift vom 8.5.1968, HHStA, Abt. 461, Nr. 34149, Bl. 508.

[70] Warlo war von Bauer zunächst beauftragt worden, nach Martin Bormann zu suchen. Er ermittelte auch gegen »Euthanasie«-Verbrecher und vertrat die Anklage im 1966/67 durchgeführten Prozess gegen »Euthanasie«-Ärzte vor. Siehe Johannes Warlo, »NSG-Verfahren in Frankfurt am Main. Versuche einer justiziellen Aufarbeitung der Vergangenheit«, in: Ein Jahrhundert Frankfurter Justiz. Gerichtsgebäude A: 1889–1989, hrsg. von Horst Henrichs und Karl Stephan, Frankfurt am Main: Verlag Waldemar Kramer, 1989, S. 155–183.

[71] »Die einzige von Beger zwischen 1941 und 1945 verfolgte These auf dem Gebiet der Anthropologie war […] die Absicht, Wanderbewegungen von Tibet nach Europa nachzuweisen.« (S. 347)

[72] Danuta Czech, Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945. Mit einem Vorwort von Walter Laqueur. Aus dem Polnischen von Jochen August, Nina Kozlowski, Silke Lent, Jan Parcer. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1989, S. 179.

[73] Jerzy Brandhuber, »Die sowjetischen Kriegsgefangenen im Konzentrationslager Auschwitz«, in: Hefte von Auschwitz, H. 4, 1961, S. 29, 31. Czech, Kalendarium, gibt für den 17.1.1945 in der Anm.* auf S. 966 ihres Werks »92 russische Kriegsgefangene« an.

[74] Siehe die Aufstellung von Transporten bei Brandhuber, S. 42.

[75] HHStA, Abt. 461, Nr. 34145, Bl. 53.

[76] Anderswo meint Reitzenstein: »Allein im Warschauer Ghetto verstarben monatlich Tausende Juden aus ganz Europa, aus denen jene hätten ausgewählt werden können, die anthropologisch interessant gewesen wären.« (S. 432) Das Warschauer Ghetto war kein Deportationsziel für »Juden aus ganz Europa«.

[77] Das Reichsinstitut Sven Hedin für Innerasien und Expeditionen, Anfang 1943 begründet, war im August 1943 von München nach Mittersill (Prinzgau/Österreich) verlegt worden (S. 230).

[78] Siehe Katers »Gutachten über die Funktionen des Wolf-Dietrich Wolff in der Forschungs- und Lehrgemeinschaft ›Das Ahnenerbe‹ e.V. von 1939 bis 1945« vom 5.9.1968, HHStA, Abt. 461, Nr. 34150, Bl. 764–767.

[79] Zeitgleich mit dem Beger-Prozess wurde der Prozess gegen den KZ-Arzt Horst Schumann begonnen. Um dessen Auslieferung durch die Regierung in Ghana hatte sich Bauer bemüht. 1971/72 standen erneut vier »Euthanasie«-Ärzte in Frankfurt/M. vor Gericht, gegen die bereits 1966/67 verhandelt worden war. In den 1970er Jahren gab es noch zwei Auschwitz-Verfahren, siehe Renz, Auschwitz vor Gericht, S. 140–144.

[80] Siehe die grundlegende Studie von Matthias Meusch, Von der Diktatur zur Demokratie. Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Hessen (1956–1968), Wiesbaden: Historische Kommission Nassau, 2001 und Andreas Eichmüller, »Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen in Hessen. Die Ära von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1956–1968)«, in: Einsicht 12 (Herbst 2014), Bulletin des Fritz Bauer Instituts, S. 42–49.

[81] Michael Wildt, »Differenzierte Wahrheiten. Historiker und Staatanwälte als Ermittler von NS-Verbrechen«, in: Geschichte vor Gericht. Historiker, Richter und die Suche nach Gerechtigkeit, S. 56.

 

Dieser Beitrag von Werner Renz ist die erweiterte Fassung seines Aufsatzes, der in der Zeitschrift myops, Heft 34, Jg. 2018, S. 40-53 erschienen ist. Renz war Leiter der Abteilung Archiv und Bibliothek des Fritz-Bauer-Instituts Frankfurt/Main.

 

 

 


 

Hans-Joachim Lang

Nicht alle neue Besen kehren gut

Julien Reitzenstein fegt durch die Geschichte der 86 Morde im KZ Natzweiler-Struthof. Anmerkungen zu einer Neuerscheinung

 

Im August 1943 hat eines der bizarrsten Verbrechens, das je im Namen der Wissenschaft begangen wurde, im KZ Natzweiler-Struthof 86 Menschen das Leben gekostet. Die überlieferten Quellen geben keine eindeutige Antwort auf die Frage nach dem Initiator. Nur Schlussfolgerungen sind möglich, darum gehen die Meinungen auseinander.

 

Im März 2018 erschien eine Studie des Historikers Julien Reitzenstein „Das SS-Ahnenerbe und die ,Straßburger Schädelsammlung‘ – Fritz Bauers letzter Fall.“ Sie will dieses Verbrechen noch besser ausleuchten als es bislang geschehen ist und „juristisch nachvollziehbar“ den „tatsächlichen Hergang der Ermordung von 86 Menschen“ darstellen. (S. 13) Angesichts der zahlreichen Rätsel, die den Fall noch immer umgeben, ist das an und für sich keine unnötiges Unterfangen.

 

Insbesondere gilt es zu fragen: Gab Professor August Hirt, der zu der Zeit an der deutschen Reichsuniversität Straßburg den Lehrstuhl für Anatomie innehatte, den einzig auslösenden Anstoß zu den Morden? Oder war er zwar nicht der Initiator, aber der skrupellose Mittäter aus optimierendem Eigeninteresse? Oder betätigte er sich lediglich als „dienstleistender Präparationspate“ (S. 454) eines ambitionierten Anthropologen, wie es Reitzenstein in seiner umfangreichen Studie nahelegt? Nur darum geht es in meinen folgenden Anmerkungen dazu.

 

Nach der Beweisführung Julien Reitzensteins, der sich mental in der Nachfolge des legendären Generalstaatsanwalts Fritz Bauer als neuer Chefankläger fühlt, erscheint der karriere-ambitionierte Bruno Beger als der Hauptverantwortliche für die Ermordung der 86 Jüdinnen und Juden. Aber nicht, weil er sich an der Erforschung einer angeblichen jüdischen Rasse beteiligen wollte. Denn wie hinlänglich bekannt, interessierte sich der promovierte Anthropologe und Mitarbeiter der SS-Wissenschaftsorganisation „Ahnenerbe“ seit einer Tibet-Expedition primär für die Herkunft der Arier, die er in Tibet verortete – quasi dem Atlantis der „nordischen Menschen“. Sie sollen sich dann, so die von ihm geglaubte Theorie, im Laufe der Geschichte in Richtung Mitteleuropa ausgebreitet haben. In groß angelegten Expeditionen des „Ahnenerbe“ wollte Beger anhand von anthropologischen Messungen die Wanderungsbewegungen an vermuteten typischen Merkmalen an Kopf und Schädel ausgewählter Sowjetbürger nachvollziehen. Solche Daten sollten nicht in harmlosen wissenschaftlichen Erhebungen gewonnen werden, vielmehr scheute sich die SS-Wissenschaftsorganisation auch nicht, wie eine im Herbst 1942 / Frühjahr 1943 geplante (aber nicht realisierte) Expedition („Sonderkommando K“) in den Kaukasus vor Augen führt, mit verbrecherischen Methoden zu den erhofften Ergebnissen zu gelangen.

 

Dasselbe galt für einen Plan der „Sicherstellung der Schädel von jüdisch-bolschewistischen Kommissaren zu wissenschaftlichen Forschungen in der Reichsuniversität Straßburg“. Auf dieser in der seit dem Nürnberger Ärzteprozess schon viel zitierten „Denkschrift“ war allerdings weder ein Datum angegeben noch ein Verfasser ausgewiesen. Sie lag einem Konvolut bei, das über August Hirts Forschungsinteressen Auskunft geben sollte und von SS-„Ahnenerbe“-Geschäftsführer Wolfram Sievers am 9. Februar 1942 als „vorläufiger Bericht“ an SS-Führer Heinrich Himmler weitergeleitet wurde, der Hirts Interessen besonders zu fördern gedachte. „Nahezu von allen Rassen und Völkern sind umfangreiche Schädelsammlungen vorhanden. Nur von den Juden stehen der Wissenschaft so wenig Schädel zur Verfügung, daß ihre Bearbeitung keine gesicherten Ergebnisse zuläßt“, beschreibt diese „Denkschrift“ das Motiv und die Ziele des Plans. Der Krieg im Osten, präzisiert sie dann mit Blick auf den am 22. Juni 1941 begonnenen Krieg gegen die Sowjetunion, biete jetzt Gelegenheit, „diesem Mangel abzuhelfen … indem wir ihre Schädel sichern“. Durch Morde.

 

Diese Schrift gilt als eines der Schlüsseldokumente, warum im Sommer 1943 in Auschwitz 86 Juden selektiert, im KZ Natzweiler-Struthof ermordet und zur Weiterverwendung an das Anatomische Institut der deutschen Reichsuniversität Straßburg gebracht wurden. Reitzenstein ist sich sicher, dass deren Verfasser nicht August Hirt ist, sondern Bruno Beger. Hirt habe in „pervertierter ,Kameradschaft‘“ (S. 428) zugestimmt, dass dieses Papier als sein Anliegen Himmler unterschoben wurde. Ja, Reitzenstein hält es nicht einmal für ausgeschlossen, dass Hirt im Februar 1942 gar keine Kenntnis von diesem Plan hatte. Eine gewiss eigentümliche Sicht auf den Anatomie-Professor, der in jenen Monaten zwar bei Giftgas-Experimenten an Ratten eine Lungenverletzung davongetragen und obendrein in seiner Arbeitskapazität überlastet war, aber in seiner Umgebung als durchsetzungsstark empfunden wurde.

 

Den Widerspruch von Begers eigenen Interessen und der in der „Denkschrift“ beschriebenen „Sicherstellung“ von Schädeln jüdischer Gefangener erklärt Reitzenstein damit, „dass der Begriff Jude bei diesem Verbrechen stets metonym oder synonym für asiatische Kriegsgefangene der Roten Armee verwendet wurde“. (S. 432)

 

Von der zweiten Septemberwoche 1942, als der Plan konkret zu werden schien, wurde das Vorhaben wegen einer Fleckfieber-Epidemie im KZ Auschwitz auf den Frühsommer 1943 verschoben. Ende April 1943 erhielt Sievers von Eichmann die Nachricht, dass jetzt in Auschwitz „besonders geeignetes Material vorhanden“ sei zur Verwirklichung der geplanten Sammlung. Darum, schließt Reitzenstein messerscharf, „darf angenommen werden, dass es sich um Inner- und Vorderasiaten handelte, die Adolf Eichmann für Beger unter den sowjetischen Kriegsgefangenen ermittelt hatte“. (S. 230) Auch Eichmann also ein Dienstleister von Bruno Beger? Obendrein ein höchst tölpelhafter, der keine Ahnung hatte von den tatsächlichen Vorgängen in Auschwitz?

 

Eines Fritz Bauers, auf den sich Reitzenstein mit seiner artifiziellen Beweisführung beruft, sind solche Behauptungen unwürdig. Denn Bauer wusste mit Sicherheit, dass zu dieser Zeit nur relativ wenige sowjetische Soldaten in Auschwitz, Hunderttausende aber an anderen Orten gefangen waren. Im Herbst 1941 hatte die SS im Stammlager Auschwitz links des Eingangstors neun Blöcke für ein russisches Kriegsgefangenenlager abgetrennt. Rund 10 000 Mann waren dort im Oktober 1941 eingewiesen worden. In den nächsten Monaten waren sie dafür eingesetzt worden, in Birkenau ein riesiges Vernichtungslager aufzubauen. Am 1. März 1942, dem Tag der Auflösung der Kriegsgefangenenabteilung im Stammlager, lebten nur noch 945 sowjetische Kriegsgefangene. Sie wurden nach Birkenau überstellt und zusammen mit anderen Häftlingen untergebracht. Gegen Ende 1942 zählte man in Auschwitz rund 150 sowjetische Kriegsgefangene. Und am 23. April 1943, also fünf Tage vor Eichmanns Kontakt mit Sievers, waren noch genau 145 sowjetische Kriegsgefangene in Auschwitz.

 

Als Bruno Beger am Morgen des 7. Juni 1943 in Auschwitz eintraf und bald danach mit seinem Auftrag begann, konnte er an Ort und Stelle nur feststellen, dass er ihn nicht erfüllen konnte – falls sein Auftrag lautete, Angehörige einer „asiatischen Rasse“ aufzuspüren. Also hat er sich, so die Schlussfolgerung Reitzensteins, spontan entschieden, statt Russen Juden zu selektieren. Warum? Julien Reitzenstein: „Nach all dem Aufwand bei den involvierten Stellen wäre ein Abbruch der Aktion zu diesem Zeitpunkt eine erneute Blamage für den aufstrebenden Nachwuchswissenschaftler Beger gewesen.“ (S. 446)

 

Damit ist klar gesagt, dass es faktisch überhaupt nicht möglich war, was sich Reitzenstein nach eigenem Gutdünken als „Auftrag Beger“ ausmalt. Tatsächlich hatte Beger nämlich einen klaren Auftrag bekommen, an dem er inhaltlich auch gar nicht deuteln konnte. Das hätte Reitzenstein in meinem Buch („Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren.“ Hamburg 2004) auf Seite 153 nachlesen können. Am 2. November 1942 hatte das „Ahnenerbe“ den „Aufrag Beger“ quasi auf den Dienstweg gebracht und den Auftrag darin konkret beschrieben. "Ahnenerbe"-Geschäftsführer Sievers übermittelte dem persönlichen Referenten Himmlers, dass »für bestimmte anthropologische Untersuchungen« nun »150 Skelette von Häftlingen bezw. Juden notwendig« seien, »die vom KL Auschwitz zur Verfügung gestellt werden sollen«. Dazu möge das Reichssicherheitsamt die nötige Anweisung geben. Rudolf Brandt wiederum leitete diesen Wunsch weiter an Adolf Eichmann. Ihn informierte er über eine Anordnung Himmlers, laut der Hirt »für seine Forschungen alles Notwendige zur Verfügung gestellt wird«. Im Auftrag Himmlers bitte er deshalb, »den Aufbau der geplanten Skelettsammlung zu ermöglichen«. Die Einzelheiten werde dann Sievers mit ihm regeln. Dem kann man noch bestärkend hinzufügen, wie Sievers am 5. September 1944 in einem Schreiben an Brandt im Nachgang den inneren Zusammenhang des Verbrechens rekapitulierte: "Gemäss Vorschlag vom 9. 2. 42 [ = sogenannte Schädel-"Denkschrift" – Lang] und dortiger Zustimmung vom 23. 2. 42 AR/493/37 [ = Reichsführung der SS – Lang] wurde durch SS-Sturmbannführer Professor Hirt die bisher fehlende Skelettsammlung angelegt. Infolge Umfang der damit verbundenen wissenschaftlichen Arbeit sind Skelettierungsarbeiten noch nicht abgeschlossen."

 

Reitzenstein freilich formt aus seinem Gedankenkonstrukt eine „Anklageschrift“, die er als eine verbessernde Überarbeitung jener dem Landgericht Frankfurt/Main am 8. Mai 1968 eingereichten Anklageschrift gegen Beger und andere ansieht, von der er ausweislich des Buchtitels („Fritz Bauers letzter Fall“) offenbar annimmt, Bauer habe sie selbst erarbeitet. Dessen verbindlicher Anteil daran bestand in seiner Unterschrift als Behördenleiter. Reitzenstein sagt selbst, was er jetzt speziell mit seiner Fortschreibung bezweckt: „Sie ist damit Ausgangspunkt eines fiktiven Verfahrens, das eine Superrevisionsinstanz mit der Neubeurteilung des Urteils befasst, welches das Schwurgericht Frankfurt am Main gegen Bruno Beger verhängt hatte. Die Leser besetzen in diesem Verfahren die Richterbank der Superrevisionsinstanz. Die Anklage wird ihre Fakten vorlegen und ist zuversichtlich, das Gericht bezüglich Tathergang und Schuld der Angeklagten überzeugen zu können.“ (Vorwort, S. IX) Julien Reitzenstein hätte sich eine Blamage durch seine Art von spekulativer Geschichtsschreibung ersparen sollen. Fritz Bauer, an dessen Ruf er sich wie ein Grabräuber bedient, hat solche Annäherungsversuche nicht verdient.

 

Tübingen im April 2018

 

Kleiner Nachtrag aus einer Rede, die Oberstaatsanwalt a.D. Johannes Warlo am 17. Mai 2017 anlässlich der Feierstunde zur Eröffnung des Fritz-Bauer-Saals im Landgericht Frankfurt am Main gehalten hat: "(...) Als Staatsanwalt Joachim Kügler, einer der drei Sitzungsvertreter im Auschwitz-Verfahren und zuständiger Sachbearbeiter für die Aufarbeitung der noch offenen Ermittlungen dieses Verfahrens, bald nach Ende der Hauptverhandlung aus dem Justizdienst ausschied, blieb ein Anhängsel dieses Prozesses unerledigt: der Fall der Skelettsammlung des Prof. August Hirt in Straßburg. (...) Bauer bat mich, mich der Sache anzunehmen, die entsprechenden Akten zusammenzustellen und eine Anklage anzufertigen, die dann über die entsprechende landgerichtliche Staatsanwaltschaft dem Landgericht Frankfurt zugestellt wurde."

Nachzulesen in Einsicht 18, Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Frankfurt am Main, Herbst 2017, S. 59.

 

 

 

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Ihre Hans-Joachim Lang

Chronik – Aktuelles

 

Die Informationen auf dieser Seite gehen über mein 2004 erschienenes Buch „Die Namen der Nummern“ (deutsche Taschenbuch-Ausgabe 2007) hinaus. Hier wird fortlaufend aktualisiert, was sich seit der Buchveröffentlichung rund um dieses Thema ereignet hat und welche zusätzlichen Einzelheiten ich seither recherchiert habe. Das Aktuellste steht gleich am Anfang. Ganz am Ende geht es auch um die Motivation und die Vorrecherchen zu diesem Projekt.

 

2024

 

Frühjahr

 

„Das größte und wertvollste Erbe der Menschen ist das Gedächtnis. Es ist eine Investition der Ethik in die Zeit“. So schreibt der griechische Künstler Xenis Sachinis in einem Begleitwort zu seiner Ausstellung „Gedächtnis und Nemesis“ im Jüdischen Museum von Thessaloniki. Als hölzernen Gedächtnis-Schreine präsentiert er verschiedene Holocaust-Verbrechen. In einem dieser Schreine thematisiert er das Hirt’sche Verbrechen am Beispiel eines der 86 ermordeten Jüdinnen und Juden. Die Nummer 41547 verweist auf die KZ-Nummer, die der Griechin Nety Aruch aus Thessaloniki in Auschwitz in den linken Unterarm tätowiert wurde.

Bild: Mutschler

 

 

 

 

 

 

 

 

28. Januar

Vortrag in der Gedenkstätte Neckarelz, einem ehemaligen Nebenlager des KZ Natzweiler-Struthof.

 

2023

 

12. - 15. Juni

Seminar in Strasbourg. Nach getrennten intensiven Vorbereitungen von französischen Studierenden an der Université de Strasbourg und von deutschen Studierenden an der Universität Tübingen (Dozenten: Christian Bonah, Reinhard Johler, Hans-Joachim Lang, Jeanne Teboule) über Erinnerungspolitik treffen sich beide Gruppen zu einem Austausch in Strasbourg. Mit dabei sind 15 Familienangehörige der 86, die aus den USA, Israel, Frankreich und der Schweiz angereist sind. Auf dem Programm stehen Besuche im Lager Struthof-Natzweiler mit der neuen Dauerausstellung im Gaskammer-Gebäude, im Anatomischen Institut, im Jüdischen Friedhof und im Gebäude des Europäischen Parlaments.

 

Gruppenbild Abschlussbild des Treffens von Tübinger und Strasbourger Studierenden mit Angehörigen der 86.

 

 

17. Juni

Drei Enkelinnen und zwei Enkel von Alice Simon machen vor ihrer Rückkehr in die USA noch einen Abstecher nach Tübingen. Im dortigen Landratsamt werden sie im vollen Saal von Wolfgang Sannwald und einigen Jugendguides befragt, wie sie und ihre Familie von dem Verbrechen an den 86 erfahren haben und wie sie damit umgehen.

 

30. August

 

In Berlin werden für zwei der 86 Ermordeten Stolpersteine verlegt. Die Organisation lag in Händen der Stolperstein-Initiative "Prenzlauer Berg". Bedacht werden Harri Bober (und weitere fünf Mitglieder seiner Familie) in der Choriner Straße 26 sowie Emil Sondheim in der Varnhagenstraße 13.

 

Stolp

Stolpersteinverlegungen in Berlin: Varnhagenstraße 13 (links) und Chorinerstraße 26
 

Vorträge in Berlin (Charité), Hannover (Medizinische Hochschule), Tübingen (Anatomisches Institut), Karlsruhe (Pädagogische Hochschule), Eschwege (ehemalige Synagoge), Gießen (Institut für Medizinethik).

 

 

2022

 

2. Mai

Die international zusammengesetzte und unabhängig forschende Commission historique hat nach knapp sechs Jahren Arbeit ihren Abschlussbericht über die Medizinfakultät der Reichsuniversität 1941-1944 vorgelegt und offiziell an den Präsidenten der Straßburger Universität Michel Deneken übergeben. Geleitet wurde die Kommission von Florian Schmaltz (Berlin) und Paul Weindling (Oxford).

 

Der Bericht ist (in französischer Sprache) online nachlesbar: https://applications.unistra.fr/unistra/visionneuse/rapport-commission-historique-Reichsuniversitat-Strassburg/2/

 

Ende Mai

In der Deutschen Schule in Thessaloniki erscheint unter dem Titel "Die Namen der Nummern. Geschichte in Übersetzungen - Τα ονόματα των αριθμών. Μεταφράσoντας την ιστορία" ein bemerkenswertes Buch auf Deutsch und Griechisch. Es enthält die 86 Biografien dieser Website, die Schüler dieser Schüler im Neugriechisch-Unterrischt und in einer Übersetzungs-AG (die betreuenden Lehrerinnen: Maria Anthopoulou, Maria Kotidou und Christina Preftisi) aus dem Deutschen ins Griechische übersetzten. Begleitend vermittelte Michael Stier in seinem Geschichtsunterricht die historischen Hintergründe dieses Verbrechens. Der Kunstlehrer der Deutschen Schule Lefteris Raftis hat die 150 Seiten ansprechend gestaltet. Aus Thessaloniki stammen 46 der 86 jüdischen Männer und Frauen.

 

 

 

2018

 

4. Dezember

 

"Die Namen der Nummern" erscheint als erweiterte Neuausgabe auf Französisch. Titel: "Des noms derrière des numéros. L'identification des 86 victimes d'un crime nazi. Une enquête." Johann Chapoutot, Professor an der Université Paris-Sorbonne, hat dazu ein Vorwort verfasst und Georges Yoram Federman, Psychiater aus Strasbourg, ein Nachwort. Die Übersetzung besorgte Valentine Meunier. Erschienen ist der Band im Verlag Presses Universitaires De Strasbourg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

11. Oktober

Vortrag vor Erstsemestern der Medizinischen Hochschule Hannover.

 

15. Mai

Zu Besuch in der Deutschen Schule in Thessaloniki. Vortrag vor den Schülerinnen und Schülern in Anwesenheit des Deutschen Generalkonsuls, der ein Grußwort sprach.

 

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Schülerinnen und Schüler der Deutschen Schule in Thessaloniki. Bild:

 

15. April

Nach den Osterferien begannen die Deutschen Schulen in Den Haag, Oslo, Thessaloniki und Warschau die Biographien der 86 Opfer des auf dieser Website beschriebenen "Ahnenerbe"-Verbrechens auf Niederländisch, Norwegisch, Griechisch und Polnisch zu übersetzen. Sie folgen damit einer Anregung des Freiburger Lehrer-Ehepaars Magali und Frank Hack, die am Deutsch-Französischen Gymnasium in Freiburg mit einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern das Übersetzungsprojekt mit Französisch begannen und dafür in Paris mit dem Prix Corrin ausgezeichnet wurden.

 

14. März

Vortrag in Lüneburg auf Einladung der Gynäkologinnen und Gynäkologen im Bezirk Lüneburg im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung.

 

28. Februar

Vortrag in Oświęcim auf Einladung des Museums Auschwitz-Birkenau im Rahmen einer Fortbildung für Guides an der Gedenkstätte.

 

26. Januar

Vortrag in der Ernst-Abbe-Bücherei Jena auf Einladung der Stadt Jena und des Vereins Lesezeichen.

 

25. Januar

Verleihung des Prix Corrin in Paris an Schülerinnen und Schüler des Freiburger Deutsch-Französischen Gymnasiums für ihr Übersetzungsprojekt. Unter der Leitung ihrer Lehrer Magali und Frank Hack übersetzten sie die 86 Biographien dieser Website ins Französische. Gratulation und großen Dank!

Siehe dazu auch:

Schüler übersetzen Biografien von Opfern des KZ Natzweiler-Struthof – und werden dafür ausgezeichnet (veröffentlicht am So, 18. Februar 2018 um 19:29 Uhr auf badische-zeitung.de)

 

2017

 

21. November

FMSG 1b webNach über 47 Jahren erstmals wieder im Friedrich-Magnus-Schwerd-Gymnasium Speyer, meiner ehemaligen Schule. Als Gast der Reihe "Vorträge zu Wissenschaft und Zeitgeschehen" sprach ich im Foyer zum Thema "Morde für eine Skelettsammlung. Ein NS-Wissenschaftsverbrechen und seine Opfer". (Bild: FMGS)

 

 

 

 

 

20. November

Steinernes.Kreuz.2a

Vortrag vor vier zehnten Klassen der Realschule im Bildungszentrum Bonndorf im Südschwarzwald. Eingeladen hatte der Geschichtslehrer Klaus Morath. Er und Leon Stoll, ein ehemaliger Schüler dieser Schule, zeigten mir nachmittags nach dem Unterricht die Orte, an denen sich August Hirt zuletzt aufgehalten hatte. Der Anatomie-Professor war Mitte April 1945 aus Tübingen in Richtung Schwarzwald geflüchtet und hatte in der Nähe des Schluchsees zunächst einen Unterschlupf in einer Waldhütte ("Tiroler Hütte") gefunden. Diese Hütte existiert heute nicht mehr. Von dort aus marschierte er jeden Morgen zu einem im Wald gelegenen Aussiedlerhof, um dort im Radio die Nachrichten zu hören. Am 2. Juni 1945 tötete sich Hirt durch einen Schuss ins Herz. Und zwar in unmittelbarer Nähe des "Steinernen Krizles" oberhalb des Sees (rechts, Bild: Lang). Begraben wurde Hirt auf dem Friedhof der Gemeinde Grafenhausen.

 

 

 

 

 

 

12. Oktober

Vortrag vor Erstsemestern der Medizinischen Hochschule Hannover.

 

11. Oktober

Einladung des Bezirksverbands Pfalz zu einem Vortrag über die 86 "Ahnenerbe"-Opfer in Strasbourg. Der Vortrag steht im Rahmen einer einwöchigen Jugendgedenkfahrt Pfälzer Jugendlicher. Besondere Note: Es ist eine Gemeinschaftsveranstaltung mit Schülerinnen und Schülern der Ecole Européenne de Strasbourg in deren Aula. Nachmittags ein gemeinsamer Besuch am Grab der 86 auf dem Jüdischen Friedhof in Strasbourg-Cronenbourg.

 

17. Mai

Vortrag im - tief Luft holen - Rabb Institute for Holocaust Studies am Department of Sociology and Anthropology der Ben Gurion University of the Negev (Israel). Seit Neuestem kooperiert dieses Institut mit dem - nochmals tief Luft holen - Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Der Vortrag begann mit einem Rückblick auf das Leben von Frank Sachnowitz, einem der im KZ Struthof Natzweiler ermordeten 86 Juden. Zu meiner großen Freude ist eigens zu diesem Vortrag der in Israel lebende Neffe von Frank Sachnowitz, Jechiel Porat, angereist.

 

11. Mai

Für meine Bücher "Die Namen der Nummern" und "Die Frauen von Block 10. Medizinische Experimente in Auschwitz" wird mir der Forschungspreis "Champions Award 2017" des Center for Medicine after the Holocaust (CMATH) verliehen. Äußerer Rahmen ist der Second International Scholars Workshop “Medicine in the Holocaust and Beyond”. 140 Wissenschaftler/innen aus 17 Ländern nehmen an der viertägigen Konferenz teil, die am Western Gallilee College stattfindet.

 

27. April

Ein Vortrag im Deutsch-Französischen Gymnasium in Freiburg steht am Beginn eines engagierten Übersetzungsprojekts . Schülerinnen und Schüler übersetzen biographische Texte dieser Website über die 86 "Ahnenerbe"-Opfer ins Französische. Angeleitet werden sie von ihren Lehrern Magali und Frank Hack.

 

FreiburgerSchulklasse

Klasse 2nde ES (10. Klasse, Wirtschaftszweig) des Deutsch-Französischen Gymnasiums in Freiburg. Bild: Hack

 

2016

 

11. März

Die französische Tageszeitung "Le Monde" weist auf den Film "Le nom des 86" hin und geht auf die zugrundeliegenden Recherchen ein.

LeMonde

 

 

März

Die tschechische Übersetzung von "Die Namen der Nummern. Wie es gelang die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren" erscheint unter dem Titel "Jména čísel - Jak se podařilo identifikovat 86 obětí jednoho nacistického zločinu"

 

 

24. Februar

Nach langen Planungen, intensiven Vorbereitungen, mit professioneller graphischer Gestaltung durch Christiane Hemmerich (Tübingen) und dank finanzieller Unterstützung durch die Hamburger Reemtsma-Stiftung geht der erste "Bauabschnitt" dieser Website online.

 

Vortrag in Tübingen (Leibniz-Kolleg).

 

2015

 

6. September

Beerdigung: Die im Institut für Rechtsmedizin der Universität Straßburg gefundenen forensischen Proben, die Menachem Taffel zuzuordnen sind, wurden – ohne damit die lebhaften Diskussionen in den vergangenen Wochen zu beenden – am späten Vormittag auf dem Jüdischen Friedhof in Strasbourg nach einer Trauerfeier beigesetzt. Mehrere hundert Personen haben teilgenommen, darunter der Oberbürgermeister von Strasbourg und der Präsident der Universität.

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Jüdischer Friedhof in Strasbourg, Bild: Lang
 

 

9. Juli

Aufsehen ererregende Entdeckung. Raphael Toledano prüft zusammen mit dem Leiter des Instituts für Rechtsmedizin (Institut de Médecine Légale) an der Universität Straßburg, Prof. Jean-Sébastien Raul, historische forensische Proben in einem abgeschlossenen Raum des Instituts und macht einen Fund, über den weltweit in den Medien berichtet wird. Es handelt sich um drei kleine Glasgefäße, in denen winzige Speisereste aus einem menschlichen Magen und fünf Hautstückchen aufbewahrt wurden, die Menachem Taffel zugeordnet werden können, einem der 86 „Ahnenerbe“-Opfer. Diese Proben stammen von den Autopsien, die von französischen Gerichtsmedizinern nach der Entdeckung der Leichen vorgenommen wurden. Einer von ihnen, Prof. Camille Simonin, hatte sie in seinem Institut behalten und 1952 einem französischen Militärgericht als Beweismittel angeboten. Danach waren sie offenbar in Vergessenheit geraten, bis Toledano 2013 in einem französischen Archiv das Schreiben Simonins entdeckte. Rauls Vorgänger hatte die Überprüfung verweigert, die nun zu dem sensationellen Fund führte.  Toledano sagte konsterniert: „Was Simonin von Hirts Opfern aufbewahrt hat, ist genau dort gelandet, wo Hirt sie in seinem Rassenwahn haben wollte: im Museum."

 

21. Mai

Besuch am Grab. Debbie Konkol, Joanne Weinberg und Chris Halverson besuchen mit ihren Ehemännern das Grab ihrer Großmutter Alice Simon. Am Grabstein legen sie Steine nieder, die sie aus den USA mitgebracht haben: Drei Steine in ihrem eigenen Namen, zwei weitere für ihre Geschwister Betsy Kelnhofer und John Simon, sowie für die beiden anderen Enkel von Alice Simon, nämlich Peter Andersen und Kris Andersen.

 

Gedenken01

Mitglieder der Familie Simon auf dem Jüdischen Friedhof in Strasbourg. 

 

20. Mai

Angehörige in Tübingen. „Den Holocaust erinnern“ ist eine Gesprächsrunde im Rittersaal von Schloss Hohentübingen überschrieben, die von der Journalistin Ulrike Pfeil moderiert wird. Drei aus den USA angereiste Enkelinnen von Alice Simon (eines der 86 „Ahnenerbe“-Mordopfer) sprechen mit Hans-Joachim Lang darüber,  wie gegenwärtig in ihren Familien der Holocaust geblieben ist. Die Enkelinnen sind Chris Halverson, Joanne Weinberg und Debbie Konkol. Veranstalter ist das Museum der Universität Tübingen (MUT).

Hohentuebingen

Gesprächsrunde im Rittersaal von Schloss Hohentübingen in Tübingen. Von links nach rechts: Chris Halverson, Joanne Weinberg, Ulrike Pfeil (Moderatorin), Debbie Konkol, Hans-Joachim Lang.

 

29. April

Kino Museum in Tübingen, Deutsche Erstaufführung des Dokumentarfilms „Le nom des 86“ (mit deutschen Untertiteln) in Anwesenheit der beiden Filmemacher.

 

Rafael-und-Emmanuel-im-Museum

Dr. Raphael Toledano (rechts) und Emmanuel Heyd im Tübinger Kino Museum.

 

27. April

Staatsbesuch. Auf dem Gelände des früheren Konzentrationslager Natzweiler-Struthof gedenkt Frankreichs Staatspräsident François Hollande (Mitte) mit führenden Europapolitikern der NS-Opfer gedacht. Zuvor enthüllten sie neben der ehemaligen Gaskammer zwei Gedenksteine. Der rechte Stein nennt die 86 Namen der hier ermordeten Jüdinnen und Juden. An der Zeremonie beteiligen sich auch (rechts neben Hollande):  EU-Ratspräsident Donald Tusk, die lettische Regierungschefin Laimdota Straujuma (ihr Land hat zu diesem Zeitpunkt den EU-Ratsvorsitz inne), der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz und der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland.

 


 
GedenkfeierEnthüllung der Gedenksteine neben der Gaskammer des KZ Natzweiler-Struthof. In der Mitte der Französische Staatspräsident François Hollande. Bild: Lang

 

23. April

Eröffnung der Ausstellung „In Fleischhackers Händen“ im Schloss Hohentübingen (bis 28. Juni). Hans Fleischhacker war einer der beiden Anthropologen, die im Auftrag der SS-Wissenschaftsorganisation „Ahnenerbe“ im Juni 1943 in Auschwitz unter den Häftlingen Jüdinnen und Juden für eine Skelettsammlung selektierten, die an der Reichsuniversität Straßburg entstehen sollte.  Fleischhacker hatte am 8. Juni an der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen noch seine Probevorlesung gehalten und damit die Habilitationsprüfung erfolgreich abgeschlossen. Am Tag darauf reiste er nach Auschwitz.

 

Aufsatz: Fleischhackers (un)vergessene Opfer. In: Jens Kolata u.a. (Hg.): In Fleischhackers Händen. Wissenschaft, Politik und das 20. Jahrhundert. Ausstellungskatalog. Tübingen 2015, S. 185-199.

 

Vorträge in Berlin (Inselgalerie), Konstanz (Volkshochschule), Wangen/Höri (Freundeskreis Jacob Picard), Tübingen (Universität: Studium Generale), Tübingen (Universität: Internationale Programme), Tübingen (Carlo-Schmid-Gymnasium) .

 

2014

 

1. Dezember

Cinéma L'Odyssée in Strasbourg, Premiere des Dokumentarfilms „Le nom des 86“ der beiden französischen Filmemacher Dr. Raphael Toledano und Emmanuel Heyd.


 
CinemaFilmpremiere im Cinéma L’Odysée am 1. Dezember 2014, Bild: Truong-Ngoc

 

Vorträge in Flensburg (Volkshochschule), Göppingen (Jüdisches Museum), Dudenhofen/Pfalz (Bürgerhaus), Prag (Heinrich-Böll-Stiftung), Thessaloniki (Goethe-Institut), Ofterdingen (Bücherei), Tübingen (Universität: Internationale Programme), Tailfingen (KZ-Gedenkstätte).

 

2013

 

Aufsatz in den „Annals of Anatomy“, 195 (2013) 373-380. Titel: August Hirt and “extraordinary opportunities for cadaver delivery” to anatomical institutes in National Socialism: A murderous change in paradigm.

 

Vorträge in Groß Gerau (Volkshochschule + Arbeit und Leben), Köln (Ärztekongress), Aachen (Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin).

 

2012

 

Vorträge in Berlin (Konrad-Adenauer-Stiftung), Hannover (Anatomisches Institut), Tübingen (Ludwig-Uhland-Institut).

 

2011

 

Oktober

Erstveröffentlichung von „Die Frauen in Block 10. Medizinische Versuche in Auschwitz.“ Hoffmann und Campe, Hamburg. Das Buch ist eine Fortschreibung von „Die Namen der Nummern“. Denn alle 29 Frauen, die im KZ Natzweiler im Auftrag des „Ahnenerbe“ ermordet wurden, haben die Anthropologen Bruno Beger und Hans Fleischhacker in Block 10 ausgewählt. Darum wurde in diesem Buch vertieft, was es mit diesem Block auf sich hatte.

 

Vorträge und Lesungen: Berlin (Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas), München (Anatomisches Institut der Universität), Tübingen (Osiandersche Buchhandlung).

 

2010

 

Spiegel online: „Die Spur der Skelette“  
http://www.spiegel.de/einestages/ns-verbrechen-a-950002.html

 

Vortrag in Würzburg (Anatomisches Institut der Universität).

 

2008

 

18. Oktober

Die Medizinische Fakultät der Tübinger Universität verleiht die Leonhart-Fuchs-Medaille für „Verdienste um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus, für die Geschichtsschreibung aus der Perspektive der Opfer und insbesondere für das Buch ‚Die Namen der Nummern‘“.

 

2007

 

April

„Die Namen der Nummern” erscheint als Taschenbuchausgabe in der Schwarzen Reihe des Fischer-Verlags, Frankfurt/Main.

 

Mai

Die polnische Übersetzung von "Die Namen der Nummern" erscheint im Verlag Wołoszański, Warschau, unter dem Titel: „Nazwiska numerów”.

 

Lesungen und Vorträge in Isney (Refektorium im Schloss), Thessaloniki (Goethe-Institut, gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde), Berlin (Leibniz-Gymnasium), Łódź (Muzeum Kinematografii).

 

2006

 

Lesungen und Vorträge in Karlsruhe (Ständehaussaal), Osthofen (KZ-Gedenkstätte), Heidelberg (Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sintu und Roma), Stuttgart (Mädchen-Gymnasium St. Agnes), Paris (Mémorial de la Shoah), Krakau (Zentrum für Jüdische Kultur), Auschwitz (Jugendbegegnungsstätte), Sindelfingen (Gymnasium in den Pfarrwiesen).

 

2005

 

Juli


 
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Hans-Joachim Lang vor der Gedenktafel unmittelbar neben der Gaskammer, Bild: Truong-Ngoc

 

Vor der der Gaskammer des ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof wird eine Gedenktafel mit den Namen der 86 Opfer angebracht.

 

11. Dezember

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Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof in Strasbourg mit den 86 Namen. Bild: Lang

 

Auf dem Jüdischen Friedhof in Straßburg befindet sich ein Massengrab, auf dem die 86 „Ahnenerbe“-Opfer in einem Massengrab beigesetzt sind. Hier stand bislang ein Grabstein, in dem nur allgemein an das Verbrechen erinnert wurde. In einer feierlichen Zeremonie wird am späten Vormittag ein Grabstein enthüllt, auf dem alle 86 Namen eingraviert sind. Zahlreiche Verwandte aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel und Österreich sind gekommen, aus Griechenland auch ein Repräsentant der Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki. Zugegen sind auch der Präsident des Dachverbands der jüdischen Organisationen Frankreichs sowie führende französische Regional- und Kommunalpolitiker.

 

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Zeremonie auf dem Jüdischen Friedhof in Strasbourg. Bild: Lang

 

Zuvor wird am Eingang des alten Anatomischen Instituts der Universität Strasbourg eine Gedenktafel enthüllt, die an das Verbrechen des Prof. August Hirt und seiner Helfer erinnert.

 

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Vor der Enthüllung der Gedenktafel: Hans-Joachim Lang (links mit Hut) im Gespräch mit Beate Klarsfeld und Jean Kahn. Bild: Jechiel Porat

 

 

Aus Rezensionen:

Urban Wiesing zählt die Morde an den 86 jüdischen Frauen und Männer zu den “schrecklichsten Verbrechen nationalsozialistischer Ärzte”. Wiesing ist Professor für Medizin-Ethik an der Universität Tübingen. In der „Zeitschrift für medizinische Ethik” (61. Jahrgang, Ausgabe 3/2005) schrieb er: „Dieses Buch ist außergewöhnlich. (…) Der Autor ist Journalist in Tübingen. In jahrelangen, umfangreichen Recherchen ist es ihm gelungen, den Opfern die Namenlosigkeit zu nehmen. Das Buch berichtet von der akribischen, zuweilen detektivischen Spurensuche, von den glücklichen Zufällen der Überlieferung, von Unterstützung, von Rückschlägen und Schwierigkeiten, von den entscheidenden Funden. Es beschreibt Menschen, ihre Geschichten, ihr Leben mit ihren Familien, mit all den Freuden, Leiden und Unwägbarkeiten. Es berichtet von ihrer Deportation nach Auschwitz, ihrer „Vermessung“, ihrer weiteren Verschleppung ins KZ Natzweiler-Struthof und ihrer Ermordung. Allen Lebensläufen ist eines gemein: Sie enden nach weiten Wegen durch Europa als leblose Körper in der Straßburger Anatomie, weil Ärzte und Anthropologen aus pseudowissenschaftlichem, von Rassenwahn entstelltem Interesse eine Sammlung jüdischer Skelette anlegen wollten, der Nachwelt zur Dokumentation. Das Buch gibt Einblick in den Organisationsablauf und die Bürokratie einer Medizin, die sich in ihrer vermeintlichen Wissenschaftlichkeit zu perfidem Mord befugt glaubt. Es vermittelt dem Leser das Selbstverständnis von Ärzten, die an ihrem Tun nicht zweifelten – auch nicht nach dem Kriege.“


Imanuel Geiss, Professor für Neuere Geschichte in Bremen, im Jahrbuch „Extremismus & Demokratie“ (17. Jahrgang 2005): „(…) In einer makabren Puzzle-Anstrengung fügte der gelernte Germanist und Journalist unzählige über den Globus verstreute Einzelteile zu dem Bild zusammen, das er in seinem Buch entwirft. Sein Material fand er mit detektivischem Spürsinn auf einer Schnitzeljagd des Todes in Archiven, durch Befragung von Angehörigen der Opfer, die er scharfsinnig ausfindig machte, zuletzt auch aus dem Internet. Allein schon die Beschreibung dieses Findungsprozesses lohnt die Lektüre des Buches. (…) 

Schritt für Schritt machte Lang aus toten Nummern wieder Namen, teilweise mit Gesichtern (Photos) und Kenntnis ihres vergangenen individuellen Lebens. (…) Das Buch verschiebt das bisherige Hauptaugenmerk von den Tätern auf die nun nicht mehr anonymen Opfer. (…). Lebens- und Todeswege der 86 summieren sich zu einem bewegenden Stück europäischer Geschichte, vor allem natürlich der europäischen Judenheit.“

 

Lesungen und Vorträge in Heidelberg (Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte), Berlin (Frida-Leider-Zentrum), Tübingen (Edith-Stein-Karmel), Strasbourg (Universität), Freiburg (Buchhandlung Jos Fritz).

 

2004

 

August

 

Erstveröffentlichung von „Die Namen der Nummern. Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren“ im Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg.

 

Juni

Das noch unveröffentlichte Buch-Manuskript „Die Namen der Nummern” wird im Rathaus von Brüssel mit dem Preis der Fondation Auschwitz ausgezeichnet.

 

14. Dezember

Aus einem Interview mit mir in der "tageszeitung“.

 taz: Was trieb Sie all die Zeit an –  es waren immerhin ja gut fünf Jahre?

 Lang: Es war die Frage: Was können das für Leute gewesen sein, die dort umgebracht wurden? Wo kamen sie her? Zunächst dachte ich noch, ich könnte die Namen schnell in einem Archiv finden, aber in den Akten war kein einziger Hinweis darauf. Als mir ein Auschwitz-Überlebender schließlich sagte, dass man sie wahrscheinlich nicht mehr herausfinden könne, wollte ich unbedingt weiterforschen.

taz: Weshalb war es Ihnen so wichtig? Weil es nicht sein kann oder darf, dass die Opfer anonym bleiben?

Lang: Sein kann, ja. Angesichts von sechs Millionen ermordeten Juden kann man sich irgendwie mit Anonymität abfinden, die Zahl ist so gewaltig groß. Aber bei diesem Verbrechen schien die Zahl - 86 - überschaubar, zumal ich die Abläufe ja schon einigermaßen rekonstruiert hatte. Als ich dann auf die Zeugenaussage des Henry Henrypierre stieß, der sich damals die Nummern der Opfer notiert hatte, ließ mich dies nicht mehr ruhen. Diese Notizen müssen doch irgendwo sein, dachte ich, undenkbar, dass sie weggeworfen wurden! Das Original habe ich trotzdem nicht gefunden, aber die Kopie einer Abschrift - nach zwei Jahren Recherche. Dieser Moment war eigentlich das erste große Erlebnis. Vollends beflügelt hat mich, als ich sehr viel später dann zum ersten Mal Angehörige getroffen habe. Da wollte ich es unbedingt zu Ende bringen. (...)

 

Das komplette Interview hier: http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2004/12/18/a0349

 

Rezensionen

 

- Khosrow Nosratian am 6. Dezember im Deutschlandfunk: „(…) Das überaus lesenswerte Buch verdeutlicht das engmaschige Netz aus Gelehrtenstube und Gestapozentrale, aus dem das Räderwerk des Holocaust entwickelt wurde. Und doch gelingt es dem zeitgeschichtlich versierten Autor stets, im Gegenzug zum gruseligen "Ahnenerbe" seine eigene forschungspolitische Absicht überzeugend zum Ausdruck zu bringen – die Ermordeten in lebendiger Erinnerung zu halte.“

 

- Bernd Hesslein am 14. Oktober 2004 in „Die Zeit“: „(…) Ein mühsames Unterfangen, oftmals an der Schwelle des Scheiterns. (…) Am Ende jedoch, nach fünf Jahren Reisen und mühseligen Recherchen, passen Nummern und Namen der Ermordeten zusammen. Das grausige Puzzle ist vollendet, die Lücke der Namenlosigkeit, wie Hans-Joachim Lang es nennt, geschlossen. Darüber hinaus liefert der Autor mit seiner Arbeit einen tiefenscharfen Einblick in die Perversion des "Denkens", das die Mediziner unter dem Totenkopf beherrschte.“

 

- Anselm Doering-Manteuffel, Professor für Zeitgeschichte, schrieb am 30. September 2004 im „Schwäbischen Tagblatt“ unter dem Titel: “Inhaltsleere Gedenkrituale sind ihm zutiefst suspekt“ in eine ausführlichen Buchrezension: „Was Hans-Joachim Lang vor einigen Jahren im TAGBLATT über Salomon Korn schrieb, gilt ebenso für ihn selbst. Ohne je in einen pauschal anklagenden, bloß moralisierenden Ton zu verfallen, schreibt er kontinuierlich über die Leidensgeschichte der Juden im nationalsozialistischen Deutschland. (…) Lang recherchiert gründlich und präsentiert detailgenaue Ergebnisse. (…) In jahrelanger detektivischer Arbeit ist es Lang gelungen, die Namen ausfindig zu machen, Angehörige aufzuspüren, sie über das Schicksal der Toten zu informieren und sich zugleich ein Bild von den Ermordeten zu machen. (…) ,Die Täter sollen nicht das letzte Wort gehabt haben‘, schreibt er am Ende. Darum sei es erforderlich, sich der Ermordeten zu erinnern, ihre Namen zu suchen, sie im Gedächtnis zu bewahren und so einen Teil der deutschen und europäischen Vergangenheit wiederzufinden. Ein bewegendes Buch.“

- Hans-Joachim Lang am 19. August 2004 Hintergrund-Seite zum Thema "Skelette für Straßburg" in der "Zeit".

Siehe: http://www.zeit.de/2004/35/A-Strassburg

 

Lesungen in Brüssel (Fondation Auschwitz), Tübingen (Buchhandlung Gastl), Frankfurt (Fritz-Bauer-Institut).

 

2003

 

21. September

Vortrag in Strasbourg bei einem Kolloquium des Cercle Taffel über den Stand der Recherchen. Am Ende des Vortrags erstmalige öffentliche Verlesung der Namen der 86 jüdischen Frauen und Männer, die Opfer des „Ahnenerbe“-Verbrechens wurden. In ehrendem Gedenken erheben sich die Zuhörerinnen und Zuhörer von ihren Plätzen.

 

1999 – 2003

 

Besuch weiterer Archive, unter anderem in Oświęcim (Archiv der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau) und Jerusalem (Archiv der Gedenkstätte Yad Vashem), umfangreiche Korrespondenz mit lokalen Archiven und Behörden in Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Niederlande, Österreich und Polen sowie Beginn der Korrespondenz und Begegnungen mit Familienangehörigen der 86 „Ahnenerbe“-Opfer.

 

1999

 

Nach langer Suche gelingt am 4. März der erste wichtige Schritt auf der Suche nach den Identitäten der 86 „Ahnenerbe“-Opfer: Entdeckung einer Kopie des gesuchten Dokuments, auf dem die 86 KZ-Nummern notiert sind, im United States Holocaust Museum in Washington. Es ist eine Abschrift der französischen Militärpolizei von der Liste, die Henri Henrypierre für die Zeit nach der Befreiung Straßburgs gerettet hat. Mit dieser Nummern-Liste lassen sich dank überlieferter Dokumente des KZ Auschwitz zunächst die Orte ermitteln, woher die 86 Männer und Frauen nach Auschwitz deportiert wurden: Oslo (N), Białystok (PL), Oranczyce (PL), Berlin (D), Thessaloniki (GR), Trier (D), Drancy (F), Mechelen (B), Westerbork (NL).  Im nächsten Schritt und mit Hilfe eines Dokuments der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau werden aus den Nummern Namen. Aber noch keine Biografien.

 

1998

 

Die Täterseite meines Forschungsprojekts über die „Ahnenerbe“-Morde an den 86 Juden ist vorläufig abgeschlossen. Dazu erscheinen zwei Aufsätze: Einer in der Wochenendbeilage der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 21. März 1998 („Nicht alles ging nach Plan. Der SS-Anatom August Hirt: sein mörderisches Wirken, sein Verschwinden und sein Verbleib.“) und ein weiterer in der Regionalgeschichtszeitschrift „Land zwischen Hochrhein und Südschwarzwald“ (Titel: „Grab Nr. 27, Grafenhausen, August Hirt. Über die Verbrechen und das Lebensende eines weltweit gesuchten Anatatomieprofessors.“)

 

1997 – 1998

 

Beginn der intensivierten Suche nach den Namen der 86 „Ahnenerbe“-Opfer. Erster Anhaltspunkt ist ein Brief, den SS-„Ahnenerbe“-Geschäftsführer Wolfram Sievers  am 21. Juni 1943 an Adolf Eichmann schickte. Unter dem Betreff „Aufbau einer Sammlung von Skeletten“ teilte er mit, dass die anthropologischen Arbeiten abgeschlossen seien und die in Frage kommenden Häftlinge nach Männern und Frauen getrennt „in je einem Krankenbau des KL Auschwitz untergebracht“ seien. Weiter heißt es: „Ein namentliches Verzeichnis der ausgesuchten Personen ist beigefügt.“
Die Suche nach dieser Liste, unter anderem auch in den National Archives in Washington, bleibt ergebnislos. Laut Vermerk auf dem Schreiben war der Brief fünf Mal ausgefertigt worden. Die im Nürnberger Ärzteprozess vorgelegte und jetzt der Forschung zugängliche Fassung ist eine nachrichtlich ohne Anlage an Rudolf Brandt (Persönlicher Referent von SS-Führer Heinrich Himmler) geschickte Durchschrift. Die Überlieferung aus Eichmanns Referat im Reichssicherheitshauptamt fehlt völlig.  

Von nun an konzentrierte sich die weitere Suche auf eine Aussage von Henri Henrypierre vor dem Nürnberger Ärzteprozess. Henrypierre, ein Mitarbeiter von August Hirt am Anatomischen Institut der Reichsuniversität Straßburg, hatte im August 1943 die vom KZ Natzweiler-Struthof gebrachten 86 Leichen entgegengenommen. An deren Unterarmen waren ihm merkwürdige Zahlen aufgefallen, die er daraufhin nicht nur ins Leichenbuch des Instituts eintrug, sondern auch noch heimlich auf einen Zettel notierte, den er in der Wohnung seiner Lebensgefährtin versteckte.
Probleme bereiten mir die französischen Archivgesetze. Ein beim französischen Verteidigungsministerium eingereichter Antrag auf Verkürzung der Sperrfrist auf Dokumente der Militärjustiz wird abgelehnt – trotz  Empfehlungen durch die deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und den französischen Holocaust-Forscher Serge Klarsfeld, den ich eigens in Paris besuche.

 

1996

 

14. Januar

Hermann Langbein erfährt von mir in einem Brief als erster meinen Entschluss „neben meinen Forschungen noch (so weit es geht) die Lebensschicksale dieser 86 Leute aufzuklären“.

 

1994 – 1995

 

Recherchen in den Bundesarchiven Bern und Berlin sowie im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Staatsarchiv Nürnberg. Ein Zwischenergebnis als Hintergrund-Seite im „Schwäbischen Tagblatt“ vom 8. Juli 1995: „Alle Welt suchte den Anatomie-Professor. Wie sich der SS-Mediziner August Hirt hier und anderswo der Verantwortung entzog.“ Briefwechsel mit Renate Hirt, der Tochter des Anatomie-Professors. Korrespondenz mit Hermann Langbein, dem damaligen Sekretär des „Comité International des Camps“, über Forschungsprobleme.

 

1993

 

Vergebliche Versuche, überregionale Tages- und Wochenzeitungen für einen Beitrag zum Jahrestag zu erinnern: Im August waren es 50 Jahre her, dass die 86 jüdischen Frauen und Männer ermordet wurden.

 

1992

 

In keinen der damals gängigen Monographien über den Nationalsozialismus war damals etwas über die Todesumstände und den Todesort von August Hirt zu erfahren, auch nichts darüber, wo sich sein Grab befindet. Recherchen im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern und im Deutschen Bundesarchiv in Berlin, dem Landesarchiv Ludwigsburg und in August Hirts letztem Aufenthaltsort Schönenbach im Schwarzwald brachten endlich Klarheit.

 

1984/1985

 

Die anhaltende Diskussion um die Tübinger Anthropologin Sophie Ehrhardt führt zu eigenen Forschungen und Veröffentlichungen über die Geschichte des Fachs. Dabei werde ich auf den Anatomie-Professor August Hirt aufmerksam. Hirt hatte im November 1944 nach einer Dienstreise nicht mehr in sein Institut zurückkehren können, weil Straßburg inzwischen von den Alliierten besetzt worden war. Er fand eine Bleibe in Tübingen, wohin die Verwaltung und zahlreiche Institute der Reichsuniversität ausgelagert worden waren.  Aus meinen Recherchen dazu entsteht mein erster Aufsatz zu einem beginnenden Lebensthema: „SS-Wissenschaftler ließen 86 KZ-Häftlinge ermorden: Für den Aufbau einer Skelettsammlung. Dunkle Querverbindungen zum ,Tübinger Anatomenlager‘. (Hintergrund-Seite in „Schwäbisches Tagblatt“ vom 21. Dezember 1985)

 

1981

 

23. September

Teilnahme als Journalist an der 17. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie und Humangenetik in Göttingen. Dort werden die aus dem In- und Ausland angereisten Wissenschaftler mit dem nationalsozialistischen Erbe der Anthropologie konfrontiert. Forderungen stehen im Raum, die Tübinger Anthropologin Prof. Sophie Ehrhardt aus der Gesellschaft auszuschließen.

Dass Ehrhardt, die in der Zeit des Nationalsozialismus in verschiedenen Positionen als Rassenforscherin aktiv war, 1980 mit alten Akten dieser Behörde, die sie teils selbst erstellt hatte, im Tübinger Universitätsarchiv forschte, hatte eine Gruppe von Sinti zu einem spektakulären Sit-in veranlasst.

Die Aktion bewirkte, dass vielerorts über Rassenforschung und das Schicksal deutscher Sinti und Roma diskutiert wurde. Meiner ersten Hintergrund-Seite über Geschichte und Gegenwart der Anthropologie am 3. Oktober 1981 im „Schwäbischen Tagblatt“ folgt eine intensive eigene Beschäftigung mit diesem Thema.

 

 

2. – 9. September

Auf die erstmalige offizielle Einladung durch die Stadt Tübingen kommen jüdische Emigranten in ihre alte Heimatstadt. Auf dem einwöchigen Besuchsprogramm stehen ein städtischer Empfang im Rathaus mit dem Literaturwissenschaftler (und rückgekehrter Emigrant) Hans Mayer sowie Diskussionsveranstaltungen und Ausflüge in die nähere Umgebung. Als Journalist habe ich viele Gelegenheiten, mit den aus Großbritannien, Israel, Portugal, Südafrika, USA angereisten Ex-Tübingern ins Gespräch zu kommen. Die emotional bewegenden und geistig anregenden Begegnungen geben mir Anstoß, nicht nur die die Stadt Tübingen, sondern insgesamt die Geschichte des Nationalsozialismus auch aus der Perspektive der Opfer kennenlernen zu wollen.